Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
von Key West. Unser Weg führt uns nun durch eine Ansammlung reinweißer, flacher Holzhäuser, die das letzte Stück des Overseas Highways säumen. Ein großes Schild weist auf das Ende des Highway hin. Bis hierhin verlief die Straße fast ausschließlich schnurgerade, nun müssen wir uns durch ein Gewirr von Straßen, die an alten historischen Häusern vorbeiführen, unseren Weg bahnen. Kurz nach dem berühmten Aussichtspunkt, der den südlichsten Punkt des amerikanischen Festlandes markiert und der natürlich entsprechend von Touristenmassen umringt ist, erreichen wir unser Ziel: einen prächtigen alten Backsteinbau, vor dessen Tor mächtige Kanonen jeden unliebsamen Eindringling abzuhalten trachten. Dass dies nicht immer gelingt, haben wir im Verlauf unserer Recherche bereits herausgefunden: Im Sommer 2010 wurde ein massiver Goldbarren, der aus dem Wrack der Nuestra Señora de Atocha stammte, gestohlen. Da wollte ein Tourist scheinbar ein ganz besonderes Andenken mitbringen.
Wir lösen unsere Tickets und schlendern an den diversen Vitrinen vorbei, die vom Erfolg der von Mel Fisher gegründeten Salvors Inc. Schatztauchfirma zeugen. Seitdem Fisher 1963 gemeinsam mit einigen Investoren die Schatzsuche in den Weltmeeren auf ein Unternehmer-Niveau gehoben hatte, hat sich einiges in diesem Bereich getan. Anfangs, so erfahren wir im Museum, suchten die Taucher mit bloßen Händen und maximal einem geliehenen Metalldetektor im Flachwasserbereich der Keys nach Überresten historischer Schiffe. Dabei war die im Jahr 1715 gesunkene spanische Schatzflotte von besonderem Interesse. Kip Wagner, ein Bauingenieur aus Ohio, entdeckte in den späten 1950er Jahren bei einem Strandspaziergang zufälligerweise einige Dublonen, die der letzte Hurrikan ans Ufer gespült hatte. Sofort war ihm klar, dass er einen Lottogewinn gemacht hat. Die Geschichte jener spanischen Flotte, bestehend aus elf Schiffen, die ein Hurrikan in dieser Gegend an die Riffe getrieben hatte, war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht so bekannt, aber Wagner hatte kurz zuvor in einem Buch darüber gelesen. Das Schicksal dieses Schiffes mit seiner Ladung von Silber, das in den südamerikanischen Minen gewonnen und geprägt worden war und nach Spanien gebracht werden sollte, hatte sich ihm besonders eingeprägt – nicht zuletzt weil beim Untergang auch weit über 1.000 Menschen den Tod fanden. Tonnen des begehrten Metalls sollen an Bord gewesen sein. Nur mit einem Surfbrett, in das er ein Sichtfenster geschnitten hatte, pflügte Kip Wagner fortan durch die Wellen und inspizierte den Flachwasserbereich. Und er hatte Erfolg. Schnell wurden weitere Schatzsucher aufmerksam, allen voran Mel Fisher. Geschäftstüchtig, wie Fisher bereits damals war, entwickelte er ein Gerät, das er »Postkasten System« nannte. Im Prinzip handelte es sich dabei um eine Röhre, die mit einem Unterwasser-Scooter verbunden war. Die Schraube des Scooters wirbelte den Sand auf und transportierte ihn durch die Röhre an eine andere Stelle im Wasser. Derart konnte er sehr schnell und effektiv einen großen Bereich absuchen und freilegen.
Der Erfolg gab ihm Recht: Chinesisches Porzellan, Silber- und Goldschmuck, 7.000 Goldmünzen aus Mexiko, Kolumbien und Peru sowie 150.000 frisch geprägte Silbermünzen wurden auf diese Art und Weise im Flachwasserbereich der Florida Keys gefunden. Da damals noch keine Rede von Unterwasser-Archäologie oder dem Schutz historisch wertvoller Stätten war, wurde der Großteil einfach in alle Herren Länder verhökert und mit dem eingenommenen Geld weitere Schatzexpeditionen finanziert.
»Wie viel Gold muss da erst im tieferen Wasser liegen?« Marcus blickt fasziniert auf eine Golddublone, die vor uns in einer Vitrine auf rotem Samt drapiert liegt. »Schatzsuche dürfte ein lukratives Geschäft sein. Sieh dich doch nur mal um – wo man hinblickt blitzt und funkelt es.«
Fasziniert von all den Schätzen, die wir soeben gesehen haben, verlassen wir das Museum und schlendern in Richtung Meer. Wie wir gelesen haben, dürfen wir uns den Sonnenuntergang in dieser Gegend auf keinen Fall entgehen lassen. Da die Dämmerung langsam einsetzt, beschließen wir, einen Sundowner in einer der nächsten Bars zu trinken. Ein flacher Backsteinbau, auf dessen weißer Fassade in großen roten Buchstaben »Sloppy Joe’s Bar« zu lesen ist, erregt dabei besonders unsere Aufmerksamkeit. Wir entern die Bar und fühlen uns direkt in eine längst vergangene Zeit versetzt. Hinter dem
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