Tiefsee: Reise zu einem unerforschten Planeten
riesigen, dunklen Holztresen reiht sich Flasche an Flasche, nur unterbrochen von unzähligen Fotos aus den 1930er, 1940er und 1950er Jahren. Auf etlichen davon erkennen wir Ernest Hemingway, den berühmten Schriftsteller. Eine Fahne, die an der Decke befestigt ist, zeigt, dass auch die US Marines diese Bar sehr gerne aufsuchen dürften.
Der Barkeeper, ein braungebrannter Latino mit schwarzem Vollbart, der mich entfernt an Che Guevara erinnert, bringt uns zwei Bier und eine Portion Conch. Diese Tritonschnecke, eine im Flachwasser der Keys lebende Schneckenart, ist eine der Spezialitäten, auf die Restaurants in diesem Teil der USA besonders stolz sind. Dazu verbindet Key West auch eine besondere Geschichte mit diesem Meeresbewohner. Als die Regierung in Washington 1982 beschlossen hatte, den Overseas Highway zu sperren und verschärfte Kontrollen nach illegalen Einwanderern durchzuführen, fürchteten die Verantwortlichen in Key West um ihre Haupteinnahmequelle, den Tourismus. Touristen lassen sich nicht gerne kontrollieren, wie wir spätestens bei der verschärften Einreise in die USA wieder gemerkt haben. Die Stadtverwaltung von Key West rief kurzerhand die unabhängige Republik Conch aus – gesprochen übrigens Konk – und erklärte am 23. April 1982 den USA den Krieg. Der Premierminister der Conch Republic, Dennis Wardlow, der eigentlich Bürgermeister war, kapitulierte eine Minute nach Verlautbarung der Kriegserklärung und forderte eine knappe Milliarde US -Dollar für den Wiederaufbau. Die Regierung in Washington war baff, ob dieser Reaktion von Key West und stellte die Grenzkontrollen wieder ein.
Als unsere Drinks serviert werden lassen wir uns nur zu gerne auf ein Gespräch mit dem Guevara-ähnlichen Barmann ein. Ich frage ihn nach den vielen Fotos von Hemingway, die überall zu sehen sind. Jose, seinen Namen erfahre ich als erstes, erzählt mir, dass Hemingway ein guter Freund des Gründers der Bar war und hier jahrelang seine Sundowner getrunken hat. Wir fühlen uns in guter Runde und trinken unser erstes Bier an diesem Tag. Beim Zuprosten fällt mir ein robustes Männchen um die 70 ins Auge. Er fährt sich gerade durch sein schlohweißes Haar und zupft seinen ebenso weißen Vollbart zurecht. Dabei ist es nicht das grün-rot-gemusterte Hawaii-Hemd, das meinen Blick auf sich zieht, sondern das Medaillon, das zwischen den weißen Brusthaaren, die aus seinem Hemd quellen, zu erkennen ist. Ich muss zwinkern. Marcus bemerkt meinen Blick und dreht sich ebenfalls um. Auch sein Blick fällt sofort auf das Medaillon – es ist eindeutig eine spanische Golddublone, genau so eine wie wir sie soeben im Museum bewundert haben. Der Alte bemerkt unsere Blicke und wirft uns ein breites Lächeln zu.
»Wie ich sehe, habt ihr meinen kleinen Schatz schon gesehen? Darf ich mich vorstellen: The Pirate – oder einfach nur Nick, was euch lieber ist.«
Binnen kürzester Zeit hat Nick nicht nur einen Drink auf unsere Kosten vor sich stehen, sondern wir erfahren auch etwas mehr über ihn. Seinen Spitznamen »Pirat« hatte er in den 1960er Jahren verliehen bekommen, und zwar von niemand geringerem als Mel Fisher persönlich. Nick erzählt uns Geschichten aus der damaligen Zeit, aus den Urzeiten der Schatzsucherei. Die Dublone ist nur eines der Relikte, die er von damals noch besitzt. Gemeinsam mit einem Partner hatte er sich in den 1970er Jahren selbstständig gemacht und entwickelt und vertreibt seit dieser Zeit professionelles Schatzsuchequipment. Die Palette reicht dabei von Proton Magnetometern über Metalldetektoren für den Unterwasser-Einsatz bis zu digitalen Side-Scan-Sonaren, mit denen u.a. auch das legendäre Wrack der Titanic in fast 3.800 Meter Tiefe entdeckt wurde. Mittlerweile ist er bereits über 80 – ich hatte mich doch ziemlich verschätzt – und macht jetzt nur noch, was ihm Spaß macht, und das ist Musik. Zwei- bis dreimal die Woche tritt er in den diversen Clubs auf den Florida Keys auf und singt seine eigene Musik oder Songs von Jimmy Buffett, einem Folksänger, den in den USA fast jeder kennt.
Nick fasziniert uns. Wir hängen an seinen Lippen. Doch mehr als seine Musik interessiert uns, was er über die Schatztaucherei zu berichten weiß. »Weißt du vielleicht, wie viele Wracks hier in dieser Gegend in den Tiefen des Atlantiks liegen?« Nick lächelt mich an. »Vor dieser Küste müssen tausende von Schiffen aus allen Epochen liegen. Doch wie viele das genau sind, wird dir wohl niemand sagen können.
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