Tiefseeperle
spät.
Vielleicht war diese Nachricht ein Hilferuf gewesen? Sie waren sich über die Jahre auf eine ganz besondere Weise schon sehr nah gekommen. Es schien tatsächlich im Moment so, dass ihr ganzes Leben durcheinandergewirbelt wurde. Vieles schien im Umbruch – und Umbrüche machten Victoria Angst.
Mit aller Macht hatte sie in der Vergangenheit an ihrem disziplinierten Leben gearbeitet. Das war aber nur gelungen, weil sie niemanden an sich heranließ.
Sie fühlte sich überfordert. Was hatte es mit diesem Bild auf sich? War es wirklich so wertvoll?
Fragen über Fragen türmten sich in ihr auf. Maximilians Arme ruhten jedoch fest und beruhigend um ihren Körper. Sie spürte seinen Atem im Nacken, fühlte, wie er sanft seinen Mund in ihrem Haar vergrub und sie küsste. Es half, sie wurde wieder ruhiger.
Plötzlich, und schon im Einschlafen begriffen, hörte sie ihn murmeln: „Ich glaube, ich bin ganz schön verliebt! Aber wir müssen reden …“
Ein Schreck durchzuckte sie. Hatte er gerade von ‚Liebe‘ gesprochen? Oh Gott, er schien es tatsächlich ernst zu meinen. Reden? Reden über was? Hatte er etwas mitbekommen?
Sofort kroch das schlechte Gewissen in ihr hoch. Aber es klang nicht so, als wolle er ihr mitteilen, dass er von ihren Besuchen bei seinem Nebenbuhler wusste. Das würde man dann doch anders formulieren, und schon gar nicht zusammengekuschelt nach einer Liebeserklärung. Oder doch? War er auch da aristokratisch höflich?
Im Grunde hatte er recht, sie mussten reden. Doch beichten?
‚Ich glaube, ich bin ganz schön in dich verliebt‘, hallten seine Worte nach. Doch wie stand es um ihre Gefühle? Wäre sie nicht dem Grafen begegnet, wäre es gar keine Frage, aber so? Doch wollte sie ernsthaft ein Phantom mit einem Mann wie Maximilian vergleichen?
Eine Antwort konnte sie trotzdem nicht finden. Eigentlich wollte sie keinen von beiden aufgeben. Sie seufzte leise. Sanft kuschelte sie ihren Körper näher an seinen.
‚Was passiert gerade alles …?’, war ihr letzter Gedanke, dann siegte die Müdigkeit und sie schlummerte in seinen starken Armen ein. Doch ihr Schlaf war unruhig, durchzogen von wirren Träumen. Maximilian und der Graf, Johannes, Maria, Sina, Catharina - all diese Menschen, die ihr etwas bedeuteten, waren plötzlich verschwunden.
„Wir müssen gehen …“, hörte sie alle im Chor sagen. „Du bist jetzt wieder ganz allein.“
Dann wieder diese Bilder von Sina, ihre zuckenden Glieder, ihr Kampf. Warum halfen ihr die Freunde nicht? Sie standen doch alle um sie herum? Vic wollte schreien, doch der Knebel ließ es nicht zu, die Ketten schnitten sich in ihre Gelenke. Sie riss und zerrte … doch es half nichts.
„Ruhig Süße, ruhig!“, eine Stimme drang plötzlich zu ihr. Sie riss die Augen auf. Maximilian schaute sie an. Es dauerte einen Moment, dann war sie wieder klar. Ihr Körper war in Schweiß gebadet. Ihr Atem ging schnell, das Herz galoppierte.
„Oh Gott, ich habe gedacht, alle sind weg und lassen mich wieder allein“, flüsterte sie, und ihre Stimme bebte. Sanft nahm er sie in den Arm.
„Beruhige dich, es war nur ein böser Traum“, seine Worte konnten sie jedoch nur bedingt beruhigen, denn Teile von dem, was sie geträumt hatte, waren nun mal kein Traum, es waren Erinnerungen an den schlimmsten Tag ihres Lebens. Das, was sie versuchte, so sorgsam unter Verschluss zu halten, drängte mehr und mehr an die Oberfläche, drückte sich wie eine eklig klebrige Masse aus ihren Poren und haftete sich an ihr fest. Plötzlich, und ohne dass sie es hätte verhindern können, überrollte sie ein heftiger Weinkrampf. Dicke Tränen rannen aus ihren blauen Augen und bildeten kleine Bäche auf seiner Brust. Es war ihr egal, auch wenn sie nun vollends den Status einer starken und stets perfekten Frau bei ihm verloren haben sollte. Warum passierten all diese Dinge gerade?
Am liebsten hätte sie die Zeit um 5 Wochen zurückgedreht. Maximilian spürte, dass es etwas in ihrem Leben gab, was sie zu dem gemacht hatte, was sie nach außen präsentierte; aber just in diesem Moment schien ihr Schutzschild einen großen Riss bekommen zu haben.
„Ich bin für dich da. Vertrau mir!“, flüstere er. Schluchzend nickte sie und wischte sich Rotz und Tränen aus dem Gesicht.
„Peinlich“, murmelte sie, als sie seine nasse Haut sah. „Nicht so lecker.“
Er lächelte. „Wenn es nur das ist, was dir Sorgen bereitet“, zärtlich strich er ihr die dunklen Strähnen aus dem Gesicht. Er
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