Tiefseeperle
erkannten nicht, was sich da vor ihren Augen abspielte. Ich wollte schreien, doch der Knebel, der verdammte Knebel war so fest. Ich hing an diesem beschissenen Kreuz, nur mit den Armen fixiert und strampelte, sah den Todeskampf meiner geliebten Freundin. Die Fesseln bohrten sich in meine Handgelenke. Irgendwie schaffte ich, dass der Knebel sich löste, und ich begann zu schreien. Sinas Glieder zuckten, sie strampelte, wand sich. Doch dann bewegte sie sich plötzlich kaum mehr. Der grausame Todeskampf war fast beendet. Oh Gott, ich sehe noch, wie ihre Beine leicht zuckten, der Kopf sich noch mal hin und her bewegte, dann war da nichts mehr. Kein Zucken, kein Atemgeräusch, nichts, was noch nach Leben ausgesehen hätte. Plötzlich erwachte einer dieser Männer aus seinem Wahn, und es wurde schlagartig ruhig. Eine seltsame Stille breitete sich aus. Alle starrten auf die bewegungslose Sina, wie sie da im Kreuz hing. Der Kopf war auf ihre Schulter gesackt. Die Beine baumelten still nach unten. Markus stand davor und wirkte völlig weggetreten. Doch anstatt nun endlich die Tüte von ihrem Kopf zu nehmen, Hilfe zu holen, gingen sie einfach. Diese Männer verließen das Kellergeschoss. Einfach so, ohne sich zu kümmern. Keiner wollte mit diesem Unglück in Verbindung gebracht werden. Kurz bevor ich ohnmächtig wurde, machte mich ein Mann los. Ich bin mir sicher, er war nicht unter der Meute, soviel konnte ich erkennen, denn die Gesichter dieser Männer hatten sich für lange Zeit in mein Gedächtnis gebrannt. Es hat Jahre gedauert, bis die Fratzen aus meiner Erinnerung verschwanden. Kurze Zeit später kam auch die Polizei. Irgendjemand, der noch einen Funken Anstand besaß, hatte sie verständigt. Um es kurz zu machen: Es kam zu einem Prozess, wo besagter Anwalt Markus Stellmann vertrat. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Er bekam drei beschissene Jahre auf Bewährung – so wenig war den Richtern und der Staatsanwaltschaft das Leben eines Menschen wert. Aber Sina war nur eine Mulattin aus Neukölln und Markus Stellmann jemand mit Macht und Geld im Hintergrund. Der Prozess war für mich die reinste Demütigung – wenngleich auch ich Opfer war … Ich habe mir danach geschworen, mich nie wieder als devote Gespielin hinzugeben, habe mein Verlangen nach diesem Spiel für alle Zeiten begraben …“
, mit tränenerstickter Stimme schloss Victoria ihre traurige Geschichte.
Maximilian wirkte sehr betroffen. Er sagte nichts, nur seine zärtlichen Berührungen signalisierten ihr, dass er für sie da war, mit ihr fühlte. Doch dann fragte er: „Warum bist du dann in dieser Szene geblieben?“
„Du meinst, warum ich als Domina arbeite?“ Victoria zuckte mit den Schultern. Sie hatte sich mittlerweile so zu ihm gedreht, dass er ihr Gesicht sehen konnte. Ihre Augen waren so voll unendlicher Trauer.
„Ich weiß auch nicht. Nach so einem Erlebnis bist du nicht mehr der Mensch, der du mal warst.“
„Hast du psychologische Hilfe in Anspruch genommen?“
„Machst du Witze?“, sie lachte, doch es klang traurig.
„Das funktioniert nicht. Du bist allein. Kein Mensch interessiert sich für dich.“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie leise fort: „Ich glaube, dass ich mit dem Job als Domina begonnen habe, um mich von diesen Erinnerungen zu lösen, zu vergessen, wie hilflos ich war. Ich war nun die Mächtige, konnte bestimmen, wann und wie ich die Peitsche schwang … Am Anfang war ich krass drauf und bin auch aus zwei Studios geflogen, weil mich die Kundenwünsche nicht interessierten. Ich habe da eine Art Rache genommen – was natürlich nicht geht.“ Maximilian hörte schweigend zu.
„Irgendwann bin ich aufgewacht und habe begriffen, wie wichtig es ist, Verantwortung für meinen Gast zu übernehmen. Dass ich mit meinem krassen Verhalten genauso mies drauf war, wie diese Männer von der Party. Ich habe den Absprung in einen bürgerlichen Job allerdings nicht mehr geschafft. In dieser Zeit war ich wohl noch zu kaputt.“
„Süße, du hast ein wunderbares Studio geschaffen. Du bist eine perfekte Domina. Das, was du nach diesem Erlebnis aus deinem Leben gemacht hast, ist beeindruckend!“
„Wirklich?“, fragte sie zaghaft.
„Ja! Viele wären an diesem grausamen Ereignis zerbrochen. Sei stolz auf dich!“
Sie lächelte unter Tränen. So lange hatte sie nicht über dieses Erlebnis gesprochen. Aber sie musste sich eingestehen, dass es gut tat, auch wenn es schmerzte. Es war angenehm, dass Maximilian nicht zu
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