Tiefseeperle
sein Name für ihren Fall Programm sein? Sie wusste von ihrer Freundin, dass Richter Engel als gemäßigt galt und noch viel wichtiger – vorurteilsfrei. Was man leider, auch wenn es keiner zugab, nicht von allen behaupten konnte.
Da der Verkehr wieder einmal die Kapazitäten der Berliner Straßen sprengte, schaffte sie es gerade noch rechtzeitig. Catharina wartete bereits vor dem Besprechungszimmer des Richters.
„Und wie geht’s dir?“, fragte sie Vic, die auf sie zugeeilt kam. Mit Blick auf die Gruppe der Gegenseite antwortete diese: „Nervös, aber soweit okay.“ Sie kannte Evelin von Hohenstein und ihren Bruder Friedrich nicht persönlich. Allerdings hatte sie gegoogelt und stellte fest, dass diese in natura noch viel zickiger wirkte als auf den Bildern im Internet. Sie war klein, hager, mit spitzer Nase und schmalen Lippen. In ihrem grauen Sommerkostüm sah sie ein bisschen aus wie Frau Rottenmayer, die strenge Gouvernante aus dem Kinderfilm „Heidi“. Sie wirkte jungfräulich. Kein Wunder, dass du so biestig bist, dachte Victoria, als sie Evelin von Hohenstein aus den Augenwinkeln betrachtete.
Friedrich hingegen wirkte eher zurückhaltend und hinterließ den Eindruck, als ginge ihn die ganze Sache nichts an – er wirkte wie ein lethargischer Teddybär - und plötzlich trafen sie sich: die Blicke von Schrader und Victoria.
Ein Schauer durchlief ihren Körper. Sie hatte ihn sofort erkannt. Auch wenn er dicker, schwerfälliger und älter wirkte als damals. Sein eher abfälliger Gesichtsausdruck verriet ihr, dass auch er sich sehr wohl noch an den Prozess gegen Markus Stellmann und sie als Zeugin erinnern konnte.
„So ein fieser Typ“, flüsterte Victoria Catharina zu.
„Der kocht auch nur mit Wasser“, beruhigte diese.
Endlich traf Richter Engel ein. Mit dicken Aktenbergen unter dem Arm, die blond-grauen Haare zerzaust und doch irgendwie zu einer Frisur geformt, rauschte er heran und schloss sein Zimmer auf. „Bitte nehmen Sie am Besprechungstisch Platz“, wies er die Wartenden an. Schrader und die von Hohensteins schossen vor, als wäre das erste Eintreten in den Raum schon der halbe Sieg. Victoria und Catharina folgten.
Richter Engel brabbelte leise vor sich hin, als er die Unterlagen auf einen großen Berg Akten auf seinen Schreibtisch warf. Victoria musterte den Mann, der für sie, obwohl sie ihn nicht kannte, eine große Bedeutung, hatte. War es nicht absurd, dass man von Menschen abhängig war, die man nicht kannte?
Die Parteien nahmen an dem runden Tisch Platz. Es war ein Taxieren, und die Spannung war überdeutlich zu spüren. Richter Engel setzte sich hinter seinen Schreibtisch und sorgte somit für eine gewisse Distanz. Victoria fragte sich, wann die Brille, die nur einen Hauch auf seiner Nasenspitze lag, herunterrutschen würde. Doch sie hielt, auch als er seinen Kopf hin und her, rauf und runter bewegte. Dass Victoria seine Nase so genau betrachtete, lag wohl daran, dass sie sich auf irgendeinen Punkt konzentrieren musste, so nervös war sie.
Obwohl der Juli sich gerade nicht von seiner schönsten Seite zeigte, es war relativ kühl und ab und zu gab es einen Schauer, schwitzte sie.
„So, wir sind heute hier zusammengekommen, damit ich mir ein besseres Bild machen kann“, eröffnete Richter Engel nun die Anhörung. „Natürlich habe ich mich, in der sehr kurzen Zeit“, sein Blick wanderte etwas strafend zu Catharina „ein Bild machen können, aber eine mündliche Darstellung erscheint mir sinnvoll!“
„Euer Ehren, ich möchte mich auch dafür bedanken, dass Sie sich so kurzfristig Zeit genommen haben“, sagte Catharina. Ihre Stimme klang sehr professionell, jegliche Lockerheit war verschwunden.
„Nun ja, es erschien mir sinnvoll … ist ja alles etwas, nun, ja sagen wir mal, ungewöhnlich“, gab der Richter zurück. „Ich schlage vor, dass Sie, Herr Dr. Schrader, beginnen, den Sachverhalt noch einmal vorzutragen. Danach kann dann die Gegenseite Stellung beziehen.“
Schrader erhob sich, wollte damit Dominanz bekunden. Doch der Richter bat ihn, sich wieder zu setzen, da er dies in diesem Rahmen für unangemessen erachtete. Ein kleiner Sympathiepunkt für die Frauen.
Etwas pikiert begann der Anwalt, die Zusammenhänge aus Sicht seiner Mandanten auszuführen. Jedoch waren seine Formulierungen sehr spitz und stellten Victoria in ein äußerst schlechtes Licht.
„… außerdem verwunderlich, Frau Meyerhof, dass sich in Ihrem Umfeld und Ihrem besonderen Metier
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