Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Wein, Käse, Schinken und Weißbrot.
»Ich wollte gerade etwas essen. Sie sind also im richtigen Moment gekommen und gerne eingeladen. Allerdings muss ich Sie bitten, nach dem Essen zu gehen, damit ich weitermachen kann.«
Kilian ergriff die Chance und setzte sich mit ihr an den Tisch.
»Womit wollen Sie mitten in der Nacht weitermachen?«, fragte er.
»Pläne müssen aktualisiert, die nächsten Arbeiten für die Handwerker vorbereitet und mein Bericht nach München geschrieben werden. Mein Chef ist streng.«
»Dann muss ich Sie leider festnehmen.«
»Wie bitte?«
»Ich bin laut Gesetz dazu verpflichtet, Schaden von Mensch, Tier und Eigentum fern zu halten. Und wenn Sie nicht essen und schlafen, habe ich große Befürchtungen, dass Sie sich Schaden zufügen. Dem muss ich entgegentreten.«
Giovanna schmunzelte. Es gefiel ihr wohl, wie Kilian sich um sie bemühte. Sie nickte und gab ihm damit zu verstehen, dass er einschenken sollte. Er füllte zwei Gläser mit Rotwein, zündete zwei Kerzen an und zog den Stecker aus dem Verlängerungskabel, an dessen Ende eine Glühbirne kaltes Licht verströmte. Der Kerzenschein brach sich hundertfach in den hohen Fenstertüren und warf flackerndes Licht an die Decke, die von einem Fresko rundum eingenommen wurde.
Behufte Waldgeister, nackte Frauen, ein lüsterner Pan, ein muskulöser Mann mit Engelsflügeln an den Schultern, Putten und die Königin der Jagd, Diana, tauchten das Mahl zu ihren Füßen in eine geheimnisvolle Stimmung.
»Johann Zwick. 1750. Das Mahl der Götter«, sagte Giovanna, ohne das überschwängliche Meisterwerk eines Blickes zu würdigen. »Gefällt es Ihnen?«
»Ja, doch, es hat was. Scheint eine lustbetonte Zeit gewesen zu sein.«
Giovanna nippte an ihrem Glas und griff den Ball auf.
»Offensichtlich war es eine Zeit, in der Trinken und Essen als Vorspiel für andere Freuden gedient haben.«
»Das musste eine schöne Zeit gewesen sein. Schade, dass wir heute so etwas nicht mehr haben.«
»Wir haben sie doch gerade hier. Oder finden Sie unser kleines Abendmahl nicht lustvoll?«, fragte sie.
Der Kerzenschein zuckte auf ihrem Gesicht. Ihre Augen schienen zu strahlen, und ein zweideutiges Lächeln versetzte Kilian einen warmen Stoß.
»Doch, doch. Auf jeden Fall«, sagte er und nahm einen Schluck Wein. »Speisen Sie immer mit Geistern und Königinnen?«
»Wann immer ich die Gelegenheit dazu habe. Sie nicht?«
»Ich komme selten mit ihnen zusammen.«
»Und mit wem speisen Sie jetzt?«, fragte sie scherzhaft.
Kilian war sich da nicht so sicher. Ihre Stimme klang verspielt, aber ihre Augen … Sie suchten nach einer Bestätigung, nach einer Entscheidung, zumindest sahen sie für Kilian so aus.
»Welches von beidem sind Sie?«, fragte er.
»Geist oder Königin, meinen Sie?«
Kilian nickte und wartete. Statt einer Antwort nahm Giovanna ihr Glas zur Hand, führte es zum Mund, setzte den Rand an ihre Lippen und ließ den Wein genüsslich über ihre Lippen laufen. Ihr Blick ruhte auf Kilian, und sie beobachtete ihn, wie er sich verhalten würde.
Er lehnte sich nach vorne, stützte das Kinn auf seine gefalteten Hände und sah ihr in die Augen.
»Vielleicht beides«, sagte sie schließlich und stellte ihr Glas ab.
Sie tippte mit ihrem Finger in den Wein und bestrich sich damit langsam die Lippen. Dabei ließ sie ihn nicht aus dem Blick. Sie antwortete nicht mit Worten, sondern mit Zeichen. Kilian starrte auf ihre Lippen und auf den Schein, der sich darin spiegelte. Er überlegte, welche Botschaft sie hatten. Giovanna schien um eine Entscheidung zu ringen. Welche, wusste Kilian nicht. Er hoffte auf die richtige. Die für ihn.
Doch Giovanna wählte die andere. Sie beugte sich nach vorne, nahm das Baguette, brach es und nahm einen Bissen.
»Nun, commissario, was macht die Arbeit? Kommen Sie voran? Wer ist der Mörder?«, fragte sie scherzhaft.
»Mörder? Wie kommen Sie darauf, dass der Wachmann ermordet wurde?«, fragte Kilian überrascht.
»Hab ich mich jetzt verraten? Aber Sie würden doch nicht ermitteln, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, oder?« Giovanna spielte die Schuldige und streckte ihm ihre Hände über Kreuz entgegen. »Nehmen Sie mich fest. Ich gestehe alles.«
»Sie liegen gar nicht so falsch. Es weist einiges darauf hin, dass der Wachmann nicht freiwillig von der Brüstung gefallen ist.«
»Wie kam es dann dazu?«
»Weiß ich noch nicht. Wir müssen erst alle Spuren auswerten.«
»Und welche haben Sie
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