Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Mit einem Anruf kommen Sie da nicht weit.«
»Wenn Sie meinen«, erwiderte Heinlein verstimmt. »Wo kann ich Sie erreichen?«
Kilian überlegte. Auf dem Polizeipräsidium in der Stadt wollte er vorbeischauen. Mal sehen, wie die Lage dort war.
»Ich werde viel unterwegs sein. Also entweder im Wagen oder bei den Kollegen in der Ettstraße.«
Bei den Kollegen in der Ettstraße kamen Heinlein unangenehme Erinnerungen hoch, als er im Zuge seiner Ausbildungszeit dort sechs Wochen unter dem Spott der oberbayerischen Kollegen zu leiden hatte. Dort würde er auf gar keinen Fall anrufen.
»Okay, dann in der Ettstraße«, log Heinlein.
»Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich was rausbekommen habe«, sagte Kilian.
Heinlein wollte schon auflegen, als Kilian überraschend ansetzte: »Ach, noch was. Gute Arbeit, Herr Kollege.«
Ein solches Lob hatte Heinlein nicht erwartet. Im ersten Moment wusste er nicht, was er antworten sollte. Doch dann:
»Danke, das hört man nicht oft.«
»Sie haben es sich verdient«, sagte Kilian und beendete das Gespräch.
Heinlein legte den Hörer auf die Gabel zurück und ließ sich das Gespräch nochmals durch den Kopf gehen, während er die Stufen zum Dachzimmer hochstieg. Er kam an Thomas’ Zimmer vorbei, der mit seinem Computer und dem Joystick beschäftigt war. Vera lag auf dem Bett und ging ihre Partitur durch. Sie griff jede einzelne Note mit der linken Hand und führte den unsichtbaren Bogen in der Rechten.
Claudia hatte für ihn einen Teller mit Broten, Radieschen, Hüttenkäse und eine Flasche Öko-Bier bereitgestellt. Sie hatte an diesem Abend ihren Weiberstammtisch, wie sie ihn nannte. Er war heilig, frei von jeglicher Infragestellung und eine revolutionäre Zelle, was die zukünftige Stellung der Frau in der Gesellschaft betraf. Treffpunkt war bei Tonio in der Neubaustraße. Dort belagerten sie den Tisch neben dem Eingang, mit Blick auf die Straße. Nichts und niemand im Ristorante konnte ihnen dort entgehen. Er war aber abgeschieden genug, um ungestört gegen die Unterdrückung der Frau in Ehe und Gesellschaft anzugehen. Ausgenommen war natürlich Tonio. Er konnte so schön italienisch sprechen und schenkte jeder Einzelnen seine volle Aufmerksamkeit und mancher ein Lächeln zu viel.
Heinlein betätigte den Lichtschalter, öffnete die Dachluke und setzte sich mitten in eine gigantische Eisenbahnanlage. Sie füllte den gesamten Dachstuhl aus und führte von Würzburg über die Alpen an den Gardasee, vom Colosseum zum Taj Mahal und weiter über den Großen Teich zur Golden Gate Bridge. Sein Vater und er hatten jeden freien Abend zum Aufbau einer Route internationale aufgewendet. Bis zum Gardasee waren sie zusammen gekommen, doch dann überraschte den Vater ein Herzinfarkt keine fünfzig Kilometer vor Würzburg, irgendwo am Bahnkilometer 48. Heinlein hatte seinen Frieden damit gemacht. Zumindest war er in Franken gestorben, sagte er am Grab. Darauf hatte der alte Herr immer Wert gelegt.
Jetzt war es an Heinlein, die Route internationale fertig zu stellen. New Orleans, Buenos Aires, Kairo und Sydney standen ihm noch bevor. Heinlein nahm die Schere und einen Karton zur Hand. Er folgte der Linie, die das berühmte Opernhaus in Sydney freigeben sollte.
*
Kilian sah noch Licht im Treppenhaus. Er gab dem Taxifahrer einen Zehner und ging auf das Eingangstor zu, aus dem erschöpfte Handwerker kamen und in ihren Autos verschwanden. Kilian traf an der Tür auf Giovanna, die soeben abschließen wollte.
»Buona sera, dottoressa«, sagte er. »Ich wollte Sie abholen und auf ein Abendessen entführen.«
Giovanna zeigte sich überrascht, schien aber auch geschmeichelt ob der unerwarteten Einladung.
»Commissario«, sagte sie, »das ist nett, aber ich habe noch viel zu tun.«
»Ich weiß, essen müssen Sie trotz allem.«
»Es geht wirklich nicht. Ich bin …«
»Hungrig.«
»Auch das. Aber …«
»Sie können meine Einladung nicht ausschlagen.«
»Oh, doch.«
»Dann brechen Sie mir das Herz.«
»Wieso das?«
»Weil ich auch noch nichts gegessen habe. Und wenn ich nicht bald etwas bekomme, dann breche ich auf der Stelle zusammen. Also, wenn Sie nicht mehr Scherereien mit mir haben wollen, dann müssen Sie mit mir etwas essen.«
Giovanna schien einzusehen, dass sie ihn nicht so leicht loswerden würde. Sie bat ihn herein.
»Ich habe einen Vorschlag, wie wir beides unter einen Hut bringen«, sagte sie und führte ihn in den Gartensaal. Dort stand ein kleiner Tisch mit einer Flasche
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