Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
bereits?«
»Eine Spur führt nach München, eine andere in den Regenwald und eine dritte …«
Kilian stockte. Was machte er da? Er gab Ermittlungen preis.
»Stören Sie meine Fragen?«, fragte Giovanna.
»Um ehrlich zu sein, ein wenig. Ja.«
»Allora. Dann erzählen Sie von sich. Wie wird man Bulle? So sagt man doch?«
»Ja, Bulle. Aber das ist nicht gerade schmeichelhaft.«
»Woher kommen Sie?«
»Nicht weit von hier. Aus einem kleinen Nest entlang des Mains. Ich bin aber schon früh nach Würzburg umgezogen.«
»Und, gefällt es Ihnen hier?«
»Kann ich nicht sagen. Ich bin erst heute Morgen angekommen.«
»Aus Genova, sagten Sie?«
»Si. Leider ist ein Freund von mir …«
Kilian brach ab. Darüber wollte er jetzt, um Himmels willen, nicht sprechen.
»Ja, ein Freund …?«
»Nichts. Das ist jetzt unwichtig. Sie fragen mich die ganze Zeit aus. Wie steht’s mit Ihnen? Woher kommen Sie?«
»Geboren bin ich in Venezia. Meine Familie hat dort ein kleines Haus am Campo Sant Angelo.«
»Aber sagten Sie nicht, dass Sie aus Genova sind?«
»Ich habe in Milano studiert und lange in Genova gearbeitet.«
»Und wie kamen Sie dann nach München? Die Schlösserverwaltung sitzt doch dort.«
Giovanna lächelte stolz. »Genauso, wie der Maestro hierher kam. Man hat ihn gerufen.«
»Der Maestro?«
»Giovanni Battista Tiepolo. Der Kurfürst hat ihn 1750 nach Würzburg geholt, um das Meisterwerk zu schaffen.«
»Sie meinen das Fresko im Treppenhaus?«
»Si. Das größte Deckenfresko der Welt. Er hat nur vierzehn Monate dafür gebraucht. Man sagt, er habe schneller gemalt, als seine Kollegen damals den Putz anrührten.«
»Und wieso hat man einen Italiener damit beauftragt?«
»Weil er der Beste war. Ein anderer Italiener, Visconti, war zuvor hier. Er hat so elend gemalt, dass es nicht zu übersehen war. Dann hatte euer Fürstbischof ein Einsehen und hat il maestro und seine zwei Söhne geholt.«
»Und was machte ihn zum Besten?«
Giovanna schaute ihn prüfend an. Seine Frage schien ihr nicht zu gefallen. Sie stand auf, nahm ihn bei der Hand und schleppte ihn ins Treppenhaus. Auf dem Umkehrpodest machte sie Halt und wies mit dem Finger nach oben.
»Sieh her«, sagte sie forsch und begann ihre Nachhilfestunde, »die vier Erdteile: Amerika, Asien, Afrika und Europa. Der Auftrag an Tiepolo lautete: Schaffe mir ein Treppenhaus, das den Besuchern auf dem Weg nach oben klarmacht, wer ich bin. Zeige meinen Ruhm, meine Tüchtigkeit und setze mich ins Zentrum der Künste und der Macht. Wenn die Besucher die flachen Stufen hochkamen, hatten sie Zeit, sich das alles anzuschauen. Spätestens dort oben an der Balustrade wussten sie über den Hausherrn Bescheid. Das war sein Job. Und sag mir, ob er es nicht genial gemacht hat?«
»Ja, nicht schlecht. Und die ganze Decke hält ohne Stützpfeiler?«
»Sì. Balthasar Neumann war ein genialer Architekt. Keiner wollte es ihm glauben, dass die Decke nicht einstürzen würde. Zum Beweis wollte er eine Batterie Kanonen abfeuern lassen, nachdem ein Konkurrent aus Wien sich auf eigene Kosten an der Decke aufknüpfen wollte. Er glaubte, dass sie nicht einmal sein Gewicht halten würde.«
»Falsch gedacht offensichtlich.«
»Sì, sbagliato. Sie hat sogar den Zweiten Weltkrieg und die Bomben auf die Stadt überlebt.«
»Nicht schlecht.«
»Tiepolo hat die ganze Breite des Raumes genutzt, um zu zeigen, was man damals über die Welt wusste. Siehst du den Elefanten bei der Afrika? Seinen komischen Rüssel? Oder dort die Europa. Sie lehnt gegen den Stier, in den Zeus sich verwandelt hatte. Daneben ist Antonio Bossi, der Stuckateur, und davor lehnt Neumann an einem Kanonenrohr.«
»Und wo ist …?«
»Der Maestro? Dort, links in der Ecke. Er war ein bescheidener Mann, der sich nicht in den Vordergrund spielen wollte. Er lebte nur für die Kunst.«
Giovannas Worte klangen plötzlich traurig. Kilian ging nicht darauf ein. Er betrachtete das Selbstporträt Tiepolos, das neben den protzigen Darstellungen vom Auftraggeber und von den anderen Künstlern nahezu unterging. Tiepolo hatte sich am Rand seines Meisterwerks selbst in den Hintergrund gestellt. Sein sehnsüchtiger Blick hinüber zur Gruppe um die Europa irritierte Kilian, genau wie Tiepolos Kleidung seine Aufmerksamkeit erregte. Er trug ein rotes Wams, einen weißen Schal um den Hals und auf dem Kopf eine rote Mütze. Von der Mütze ging etwas Längliches weg, das Kilian nicht erkennen konnte.
»Was hat Tiepolo da an seiner
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