Tiepolos Fehler: Kommissar Kilians erster Fall
Leiche gerufen wurde und Kollege Kilian noch nicht zum Dienst erschienen sei. Oberhammer feuert den Hörer auf die Gabel.
Vor dem Eingangstor der Residenz verladen Bauarbeiter Holzplanken, Werkzeug, Gitter und Gerüstteile. Zwei Kleinbusse mit Reinigungspersonal kommen herangefahren. Ein Truppführer weist die meist ausländischen Putzhilfen in verschiedene Gruppen ein. Sie betreten die Residenz mit Eimern, Lappen und Besen.
8.20 Uhr. Kilian betritt das Kriminalhauptgebäude.
»Einen Moment, Herr Kilian«, sagte der junge Kollege hinter der Panzerglasscheibe.
Er griff in ein Regal und holte eine längliche Schachtel heraus. Dann ging er zur Seitentür und überreichte sie Kilian. Der zeigte sich erstaunt. Die Schachtel sah genauso aus wie die, die Giovanna ihm bereits gegeben hatte.
»Ein Mann war heute Morgen hier und hat das für Sie abgegeben«, sagte er.
Kilian nahm die Schachtel mit auf den Weg in sein Büro. Sabine kam ihm entgegen.
»Wo steckst du denn?«, fragte sie aufgeregt.
»Beruhige dich. Ich bin doch jetzt hier«, antwortete Kilian.
»Der KDD und der Schorsch sind im Husarenwäldchen. Eine Frauenleiche wurde heute Morgen gefunden.«
»Schon wieder eine? Sag mal, bringt ihr euch jetzt am laufenden Band um?«
»Mach keine Scherze. Der Oberhammer hat angerufen und wollte wissen, was mit der Löwenbrücke los ist.«
»Was soll los sein? Nix. Die EDler sollen das klären.«
»Schon passiert.«
»Na, dann ist doch alles klar.«
»Nix ist klar. Da ist der Erich drauf.«
»Wer ist der Erich?«
»Erich ist ein Freund vom Schorsch.«
»Ja und?«
»Wenn da der Erich drauf ist, dann ist der Schorsch auch nicht weit.«
»Wieso?«
»Na, weil sie gute Freunde sind. Und wenn der Erich einen Scheiß macht, dann steht meistens der Schorsch daneben.«
»Oder mittendrin«, sagte Kilian in guter Erinnerung an die Löwennacht.
»Was?«
»Vergiss es. Wo ist jetzt das Problem?«
»Oberhammer ist auf dem Weg. Er will sich die Aufnahme selbst anschauen. Und wenn der den Schorsch drauf entdeckt…«
»Schon gut. Ich geh rüber zu den Kollegen und bring das in Ordnung«, sagte er in aller Ruhe, während er die Schachtel öffnete und neben einer Feder den Zettel fand, den er tags zuvor in den Postkasten Furtwangers gesteckt hatte. Unter seiner eigenen Nachricht las er:
Kann leider nicht persönlich kommen. Bin in aller Früh verreist. Rückkehr unbestimmt. Anbei die Feder, die Sie sehen wollten. Gruß R. Furtwanger.
PS: Sollte ich länger verreist sein, betrachten Sie die Feder als Geschenk. Ich werde sie dann nicht mehr benötigen.
»Jetzt beeil dich. Der Oberhammer kann jede Minute da sein«, drängte Sabine.
Kilian gab ihr die Schachtel. »Lass sie in die Rechtsmedizin bringen. Sie sollen checken, ob sie was mit der Mordwaffe zu tun hat.«
Er machte sich auf den Weg zum Erkennungsdienst. Im Weggehen drehte er sich nochmal um und rief ihr nach:
»Und wenn der Oberhammer auftaucht, dann halt ihn, solange es geht, auf.«
Kilian hörte das Lachen und Gegröle bereits auf dem Gang.
Als er den Technikraum betrat, sah er, wie sich fünf Kollegen vor Lachen auf die Schenkel klopften.
Auf einem Monitor war das verzerrte Gesicht Erichs zu erkennen. Seine Augen waren verdreht, als wollten sie aus den Höhlen treten. Der Mund war weit aufgerissen und verzogen.
Einen Monitor weiter war – zwar nur im Profil, aber das eindeutig – Heinlein zu erkennen. Er trug eine weiß-rote Fahne und stützte Erich von hinten, der mit aller Entschiedenheit im Begriff war, den Sockel eines Löwen zu besteigen.
Kilian konnte es nicht fassen. »Das darf doch nicht wahr sein.«
»Doch!«, brüllten die Kollegen einstimmig.
»Wollen Sie alles sehen?«, fragte einer.
Kilian nickte. Das Bild rüttelte, hatte Aussetzer, war verzerrt und ließ eine ruhige Hand vermissen. Doch es reichte aus, um zu erkennen, wie dieser Erich auf den Löwen eindrosch und Heinlein ihn von hinten hielt. Kilian trat an den Regietisch und betätigte die Stopptaste.
»Ich glaube, das reicht. Gute Arbeit, Kollegen«, sagte er, »aber wir müssen da was ändern.« Erstaunt blickten sie ihn an.
»Sie haben doch bestimmt einen Internet-Anschluss hier?«
»Ja«, antwortete einer, »und?«
Sabine warf den Hörer auf die Gabel, sprang auf und rannte Richtung Eingang aus ihrem Büro. Sie lief Oberhammer beim Übergang in den zweiten Bau direkt in die Arme.
»Herr Polizeidirektor? So früh schon unterwegs?«, sagte sie und stellte sich ihm in den
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