Tier zuliebe
den Tieren beim Tötungsakt bewusst umgeht. Darauf hat mein Vater immer Wert gelegt. Er wusste: »Ein Tier, das Angst vor der Schlachtung hat, empfindet Stress. Und das geht auf Kosten der Fleischqualität.« Aber man darf sich nichts vormachen. Ich habe immer gedacht, dass der Bolzenschuss die schönste Art des Sterbens ist – weil es schnell geht und schmerzlos ist. Jetzt, da ich weiß, zu welchen Unfällen es dabei kommen kann, habe ich verstanden, dass das alles gar nicht so einfach ist. Dabei hätte doch gerade ich es wissen müssen mit meinem familiären Hintergrund. Inzwischen denke ich: Die einzige moralisch rechte Möglichkeit, ein Tier zu essen, ist, wenn es eines natürlichen Todes gestorben ist. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich das erste Mal einen Tötungsakt in unserer Schlachterei mitbekommen – nur gehört, nicht gesehen, das wollte mein Vater nicht. Aber die Tiere brüllten und als ich meinen Vater fragte, warum, sagte er: »Weil die sich freuen.« Drei Jahre später habe ich beobachtet, wie die Gesellen die toten Tiere ausgebeint haben. Merkwürdigerweise habe ich keinen Ekel und keine Abscheu empfunden. Ich kann mir das nur so erklären, dass mein Vater immer gesagt hat, die Tiere bekommen vom Sterben nichts mit. Doch ich habe bis heute das Geschrei in den Ohren. Dieses Geschrei der Schweine, die montagmorgens zwischen sechs und sieben Uhr angefahren wurden, das drang hoch zu uns, bis in den fünften Stock. Wenn ich mir überlege, was ich für meine Hündin alles mache, wie ich dieses Tier wahrnehme und auf seine Reaktionen und Emotionen achte, kann ich eigentlich nicht mehr verstehen, wie ich mich jahrelang von diesem Argument: »Durch den Bolzenschuss bekommen die Tiere nichts mit vom Sterben« habe blenden lassen. Und was ist denn mit dem Leben davor? Da habe ich mir ja auch was vorgemacht. Ich habe mir von meiner Familie erzählen lassen, dass irgendwo im Schwarzwald ein Bauernhof steht, wo das Vieh glücklich vor sich hin lebt. Natürlich gab es tatsächlich einen Bauernhof im Schwarzwald, aber die Tiere wurden mit Hormonen vollgepumpt und standen eng zusammengepfercht im Stall. Sie durften leben, weil sie sterben sollten.
S. ist zutiefst betroffen. Die Vorstellung, dass sie sich als Tochter einer Schlachter-Familie nicht genügend Gedanken über das Leid der Tiere gemacht hat, scheint sie jetzt, als erwachsene Frau, zu zermürben. Sie nimmt es sich übel, dass sie lange geglaubt hat, was man ihr als Kind erzählt hat. »Wer hätte das nicht?«, versuche ich sie zu trösten, ohne Erfolg. S. ist von ihrer Empathie eingeholt worden.
Ich frage S., wie es nach dieser Erkenntnis, dem »Aufwachen«, weitergeht, ob sie immer noch Fleisch essen kann und will. »Kein Fleisch mehr, ja, das wäre eigentlich das Richtige«, meint sie. Aber wie soll sie das mit ihrem Lebensgefährten machen? Dass S. gleich an ihn denkt, liegt nahe, wenn ich an die Statistiken denke, die zeigen, dass es unter Frauen gut doppelt so viele Vegetarier gibt als unter den Männern.
Frauen
Nicolas, inzwischen zwanzig und mit der Schule fertig, studiert in Maastricht und lebt dort in einer WG. Ich frage ihn via Skype, was er sich heute zum Abendessen macht. Er beschreibt mir seine Kreation, bestehend aus Spinat mit Kartoffelbrei und Spiegelei, ganz bodenständig. Und während er mir erzählt, wie und wovon sich die anderen Insassen seiner vierköpfigen WG im Allgemeinen ernähren, kommen wir auch auf das einzige weibliche Wesen in diesem Kreis, L., zu sprechen. L. ist strikte Vegetarierin. Aber sie isst nicht nur kein Fleisch, ich erfahre zudem, dass L. nur Bioprodukte kauft. Sie hat meinen Sohn bereits auf einen Bioladen um die Ecke aufmerksam gemacht, der anscheinend herrliches Brot anbietet – mit dem kleinen Makel, dass es steinhart ist. So hart, dass die Anschaffung eines Brotschneidegeräts in der WG zwingend notwendig wurde. Außerdem hat L. ihre Mitbewohner mit Mühe und Hartnäckigkeit dazu gebracht, Müll zu trennen und zu einer speziellen Recyclingtonne zu bringen – in den Niederlanden offensichtlich nicht so selbstverständlich wie bei uns.
Ich halte fest: Eine Vegetarierin, die nur Bioprodukte kauft und dafür sorgt, dass ihr Müll recycelt werden kann. Damit entspricht L. genau der Frau, die laut Studien zur größten Gruppe der Vegetarier zählt: junge, gebildete Frauen, die in Großstädten leben und sich um die Umwelt sorgen.
Doch es muss auch alte Frauen geben, die von der vegetarischen Lebensweise
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