Tier zuliebe
wenn Menschen mir erzählen, dass sie zwar Tiere essen, aber kein schlechtes Gewissen haben müssen, da sie nur Fleisch aus Bio-Erzeugung kaufen. Früher hätte ich das wohl ähnlich gesehen. Aber längst geht es mir nicht mehr nur darum, dass die Tiere gut gehalten werden und beim Töten keine Schmerzen empfinden, sondern ich stelle für mich persönlich unser Recht, Tiere zu töten, in Frage. Der Erwerb der etwas teureren Bio-Wurst bei Aldi ist ein zu kleiner Schritt auf dem Weg zu einem ökologisch und ethisch korrekten Verhalten, wie ich es mir wünschen würde. Aber auch wenn jemand bereit ist, für das Huhn 3 Euro mehr auszugeben, und meint, dass löse ihn aus der Verantwortung, dann ärgert mich das eher noch. Natürlich erwarte ich von niemandem, dass er meine Gedanken übernimmt und auch Vegetarier wird. Ich weiß selber nicht einmal, ob ich mein Leben lang Vegetarierin bleiben werde. Aber ein schlechtes Gewissen, weil ein Wesen für den kurzfristigen Genuss sterben musste, schadet nicht. Fleisch essen mit schlechtem Gewissen ist mir jedenfalls sympathischer, als es sich mit dem Hinweis auf »Bio« mit der größten Selbstverständlichkeit einzuverleiben, als hätte man sich mit dem Siegel auch moralisches Recht erkauft.
Und was mich immer mehr ärgert, ist der Hinweis darauf, dass wir Menschen eben schon immer Tiere gegessen haben. Neulich habe ich mich beim Abendessen mit Freunden sogar dazu hinreißen lassen, daraufhin recht giftig zu erwidern: »Ja, und unsere Vorfahren haben früher auch mit großer Selbstverständlichkeit Frauen vergewaltigt und sich gegenseitig abgeschlachtet – sollte das deshalb heute auch wieder in Ordnung sein?« Immerhin könnten wir alle Friedens- und Solidaritätsbemühungen gleich aufgeben, wenn wir unser künftiges Handeln von der Vergangenheit des Menschen ableiten. Im nächsten Moment wurde es mucksmäuschenstill und ich habe mir auf die Zunge gebissen statt auf die eigens für mich vegetarisch belegte Pizzahälfte. Ich muss mich in Acht nehmen: Niemals wollte ich zur Missionarin werden …
Aber ich will das leidige »Schon immer«-Argument dennoch zum Anlass nehmen, auch in der Hinsicht mal Licht ins Dunkel zu bringen. Also, was heißt das überhaupt: »Schon immer«? Schließlich sind wir nicht »schon immer« die Menschen, die wir heute sind. Dazu möchte ich Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenbergmuseum in Frankfurt befragen. Er ist Paläoanthropologe, also Urmenschenforscher.
Wann betrat denn der »erste Mensch« die Weltbühne?
Ich persönlich würde den »Homo rudolfensis«, der vor ca. 2,5 Millionen Jahren in Malawi lebte (und vor ca. 1,9 Millionen Jahren auch in Kenia in Ostafrika), als Urmenschen bezeichnen. Der Begriff »erster Mensch« ist für mich nicht definiert. Wenn wir damit unsere eigene Art »Homo sapiens« meinen, so würde ich sagen, dass der »erste Mensch« der späte archaische »Homo sapiens« war, der vor ca. 200 000 Jahren wiederum in Afrika entstand – das ist z. B. durch Fossilien aus Omo/Kibish in Äthiopien überliefert.
Wann haben die Menschen oder ihre Vorfahren angefangen, Fleisch zu essen?
Wir haben an Tierknochen, die in Fossilien gefunden wurden, Schnittspuren entdeckt. Diese stammten aus der Zeit von vor 2,5 bis 2,6 Millionen Jahren. Das heißt, die Urmenschen haben da schon gezielt Steinwerkzeuge eingesetzt, um Knochen vom Fleisch zu befreien. Ob nun die Urmenschen vor dieser Zeit, also noch vor 2,5 Millionen Jahren, die ersten Vorfahren waren, die Fleisch aßen, ist leider bislang nicht mit Fossilien belegbar. Wir können nur spekulieren, dass die Vormenschen, die Australopithecinen [Vormenschen vor der Gattung »Homo«; sie lebten vor ca. 6 Mio. bis 2,5 Mio. Jahren], die noch keine Steinwerkzeuge herstellten, vielleicht reine Vegetarier waren oder ob sie auch schon tierische Nahrung, z. B. in Form von gesammelten Insektenlarven, zu sich nahmen.
Kann man nachvollziehen, warum der Urmensch Fleisch gegessen hat?
Der opportunistisch getriebene Urmensch hat vor 2,5 bis 2,6 Millionen Jahren offensichtlich angefangen, einen größeren Anteil an Fleischnahrung in seinem Speiseplan aufzunehmen, damit er von saisonalen Engpässen pflanzlicher Nahrungsquellen unabhängig war. Er hat sich also Alternativen gesucht für Zeiten, in denen seine normale Nahrung nicht verfügbar ist. Der Vorteil in Zeiten klimatischer Schwankungen ist, dass ich dann bei meiner Nahrungssuche mehr Möglichkeiten habe.
Angenommen, wir hätten immer paradiesische
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