Tier zuliebe
nach Sizilien und eine überfahrene Katze später, schlage ich endlich nach. Das Kapitel, das sich mit der Frage beschäftigt, ob wir Tiere essen dürfen, beginnt mit einer Science-Fiction-Szene: – genau diese ist der Schlüssel zur Argumentationskette gegen den Fleischverzehr, der mir an jenem Abend auf Sizilien entfallen war. Dabei ist sie so einfach und gleichzeitig eindringlich: Außerirdische, die Menschen weit überlegen sind, landen auf der Erde, sperren sie ein, machen Experimente mit ihnen und essen sie gnadenlos auf. Besonders gern die Kinder. Auf die Frage, wie sie so barbarisch sein können, antworten sie:
Wir sind intelligenter als ihr und vernünftiger und können lauter Dinge, die ihr nicht könnt. Wir sind eine viel höhere Spezies, ein Dasein auf einer ganz anderen Stufe…und deshalb dürfen wir mit euch machen, was wir wollen…außerdem: Selbst wenn unser Verhalten nicht ganz in Ordnung sein sollte – eines steht trotzdem fest: Ihr schmeckt uns halt so gut. 3
Bedarf diese fiktive Szene einer Interpretation? Wohl kaum. Da finden wir unser aller Argumente, Ausreden und Rechtfertigungen, wenn wir Tiere essen. So verdammt einfach kann man es auf den Punkt bringen.
Ich will nicht mehr zu den Menschen gehören, die ausblenden, verdrängen und unter den Teppich kehren, die Berichte über Massentierhaltung und Schlachthöfe verfolgen und am nächsten Tag weitermachen, als wäre nichts geschehen, als wären sie nicht indirekt Zeugen grausiger Zustände im Schlachthof gewesen: schreiende Rinder an Haken, denen Blut aus dem Rachen schießt, Schweine, die bei lebendigem Leib verbrüht werden, Hühner, die, bereits geköpft, ziellos durch die Gegend rennen.
Werde ich das schaffen? Vielleicht ist das Fleisch (in diesem Fall mein eigenes) ja zu schwach … Da hilft nur, den Geist weiter zu schärfen.
Philosophische Schutzimpfung
Der Philosoph Richard David Precht – das ist »mein Mann« in der Frage, ob wir aus philosophischer Sicht Fleisch essen dürfen oder nicht. Ich treffe ihn an einem verregneten Nachmittag in Baden-Baden. Ob er wohl selbst Vegetarier ist?, frage ich mich, als ich ihn sehe: Schlank, fast ein wenig hager und irgendwie asketisch wirkt er. Doch langsam. Zunächst zu den Fragen, die mir seit geraumer Zeit auf den Nägeln brennen:
Welche Argumente gibt es aus philosophischer Sicht gegen den Fleischkonsum?
Höhere Wirbeltiere und auch einige andere Tiere sind sehr leidensfähige Wesen. Unter Menschen ist Leidensfähigkeit ein sehr wichtiges Kriterium, jemanden zu achten und ihm keinen Schaden zuzufügen. Es gibt ja Menschen, die über viele höhere Qualitäten des Menschseins nicht verfügen, zum Beispiel Neugeborene oder demente, ältere Menschen, die wir, obwohl sie nicht so intelligent sind wie wir, gleichwohl in unsere Wertegemeinschaft mit einbeziehen, nämlich mit dem Argument, dass es sich um »leidensfähige Menschen« handelt. Also leidensfähige Wesen. Nun handelt es sich bei Tieren darum auch, je nach Tierart oder Tiergattung natürlich sehr unterschiedlich. Aber weil sie leidensfähig sind, müssen wir diese Leidensfähigkeit berücksichtigen. D. h., wir können nicht einfach so mit ihnen umspringen, als wären sie Sachen.
Gibt es noch weitere Argumente von Philosophen gegen das Schlachten und Essen von Tieren?
In der modernen Diskussion gibt es noch ein zweites. Das ist der Hinweis von Tom Regan [1938 geborener amerikanischer Philosoph und Aktivist in der Tierrechtsbewegung], dass Tiere in der Lage sind, Absichten und Wünsche zu haben, also Präferenzen zu entwickeln. Auch das ist etwas, das wir bei Menschen sehr hoch anrechnen und das ein Grund dafür ist, dass wir Rücksicht auf jemanden nehmen, weil er Wünsche, Absichten, Ziele, Zwecke in seinem Leben verfolgt. Und da Tiere das bis zu einem gewissen Grad auch tun, müssen wir sie als Lebewesen, die Wünsche und Absichten haben – zum Beispiel den Wunsch, am Leben zu bleiben oder keine Leiden zu erfahren – respektieren.
Heißt das, dass man einen Unterschied machen darf oder muss zwischen einem Regenwurm und einem Rind?
Nach der ersten Argumentation, die ich anfangs genannt habe, und der zweiten – Stichwort »Wünsche und Absichten« – müsste man diese Unterschiede durchaus machen. Man müsste den Lebenswert eines Lebewesens abhängig machen erstens von dem Ausmaß seiner Leidensfähigkeit und zweitens von seinen Möglichkeiten, den Wunsch zu entwickeln, am Leben zu bleiben und keinen Schaden zu erleiden.
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