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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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mußten auf den alten Professor Malleson zurückgreifen, um mit dieser Masticks fertig zu werden, ist es nicht so?«

Kapitel 4
     
    Ich wußte, daß es nicht recht von mir war, aber die alte Drovers’ Road lockte mich unwiderstehlich. Eigentlich hätte ich nach der Morgenvisite unverzüglich in die Praxis zurückkehren müssen, doch der breite grüne Pfad wand sich so verführerisch zwischen den zerbröckelnden Mauern durch das Hochmoor, daß ich der Versuchung nachgab, aus dem Wagen ausstieg und meinen Fuß auf das struppige Gras setzte.
    Die Mauer lief am Rand des Hügels entlang, und als ich den Blick in die Ferne schweifen ließ, wo weit unten Darrowby zwischen den Fells eingebettet lag, pfiff der Wind mir um die Ohren; aber sobald ich mich in den Schutz der grauen Steine hockte, war er nur noch ein Flüstern, und die Frühlingssonne wärmte mir das Gesicht. So mochte ich die Sonne am liebsten – die Luft angenehm frisch, das Licht nicht zu grell, sondern klar, hell und rein, wie man sie hinter einer Mauer in Yorkshire findet, während der Wind über das Hochland weht.
    Ich ließ mich nach hinten sinken, bis ich ausgestreckt im Gras lag, blickte mit halbgeschlossenen Augen in den hellen Himmel und schwelgte in dem Gefühl, losgelöst von der Welt und ihren Problemen zu sein.
    Diese Form von Nachgiebigkeit gegen mich selbst war zu einem Teil meines Lebens geworden und ist es noch heute: das Widerstreben, aus den luftigen Höhen herunterzukommen; der Wunsch, aus dem Strom des Lebens herauszutreten und ein paar Minuten als unbeteiligter Zuschauer am Rande zu verweilen.
    Und es war leicht zu entkommen, wenn man hier oben so ganz allein lag, wo nichts zu hören war außer dem Wind, der über die freien Felder pfiff, und dem endlosen unerschrockenen Trillern der Lerchen hoch droben im weiten Blau.
    Nicht daß es mir schwergefallen wäre, den Hang hinunterzugehen und nach Darrowby zurückzukehren, auch nicht in meiner Junggesellenzeit. Ich hatte hier schon zwei Jahre verbracht, ehe Helen in mein Leben trat. Skeldale House war mein Heim geworden, und mit den beiden Brüdern Farnon verband mich eine herzliche Freundschaft. Es störte mich nicht, daß beide klüger waren als ich. Siegfried – unberechenbar, aufbrausend, großmütig; ich hatte Glück, ihn zum Partner zu haben. Als Großstadtmensch plötzlich vor die Aufgabe gestellt, erfahrenen Viehzüchtern sagen zu müssen, wie sie ihre Tiere behandeln sollten, hatte ich seine Sachkenntnis und führende Hand bitter nötig. Und Tristan: ein komischer Kerl, wie die Leute sagten, aber absolut zuverlässig. Sein Humor und seine Lebensfreude waren mir oft ein Lichtblick.
    Und während der ganzen Zeit konnte ich mir eine gewisse Praxis aneignen. All das, was ich auf der Universität gelernt hatte, wurde jetzt von Leben erfüllt, und mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit erkannte ich immer deutlicher, daß ich für diese Aufgabe geschaffen war. Es gab nichts, was ich lieber getan hätte.
    Nach einer Weile stand ich auf, reckte mich zufrieden, atmete noch einmal tief die reine, frische Luft und schlenderte langsam zum Wagen zurück; dann fuhr ich den Hang hinunter nach Darrowby.
    Als ich vor dem Eisengitter hielt, an dem Siegfrieds Messingschild ein wenig schief über dem meinen hing, blickte ich hinauf zu dem hohen alten Haus, an dem der Efeu sich unregelmäßig an der verwitterten Backsteinwand emporrankte. An den Fenstern und Türen blätterte die weiße Farbe ab, und der Efeu hätte zurechtgeschnitten werden müssen – dennoch atmete das ganze eine ruhige, unvergängliche Eleganz.
    Aber ich hatte in diesem Augenblick andere Dinge im Kopf. Ich ging ins Haus und schlich mich durch den langen Fliesenkorridor zur Rückseite des Hauses. Und wie immer spürte ich eine unterdrückte Erregung, als ich die vertrauten Berufsgerüche einatmete: Äther, Karbol und ein bestimmtes aromatisches Pulver, das ein Gemisch aus würzigen Kräutern darstellte und das wir unter die Arzneien mengten, um sie schmackhafter zu machen; es hatte ein so unverkennbares Aroma, daß ich mich noch heute in die Zeit vor dreißig Jahren zurückversetzt fühle, sobald ich es rieche.
    An diesem Tag war ich aufgeregter als sonst, denn ich hatte etwas vor, wobei ich nicht erwischt werden wollte. Teils auf Zehenspitzen legte ich das letzte Stück des Korridors zurück, bog rasch um die Ecke und schlüpfte in die Medikamentenkammer. Behutsam öffnete ich die Tür des kleinen Medizinschranks und zog eine

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