Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
als er fertig war, blieb er noch eine Weile im Hof stehen, plauderte über das Wetter, das wuchernde Gras und den Preis für gutgenährte Rinder.
    Mr. Kendall harrte tapfer aus, aber kaum saßen wir im Wagen, eilte er in den Stall zurück. Ich blickte ihm nach und sah, wie er, tief gebückt und wieder die Brille auf der Nase, in sämtliche Ecken spähte.
    »Armer Kerl«, sagte ich. »Er sucht noch immer. Aber jetzt verraten Sie uns, wo um alles in der Welt ist es nun wirklich?«
    »Das hab ich Ihnen doch gesagt.« Siegfrieds Rechte ließ das Steuer los, er schüttelte den Arm, und ein rosaroter Fleischball rollte in seine Hand.
    Ich starrte verblüfft darauf. »Aber... ich habe gar nicht bemerkt, wie Sie das Ding entfernt haben...Wie erklärt sich das?«
    »Ich will es Ihnen sagen.« Mein Partner lächelte nachsichtig. »Als ich die Geschwulst betastete, um festzustellen, wie tief sie lag, merkte ich plötzlich, daß sie sich bewegte. Sie war hinten lediglich von der Haut eingekapselt, und als ich noch einmal drückte, sprang sie heraus und mir direkt in den Ärmel. Kaum war sie draußen, schnellte die Haut zurück, die Ränder schlossen sich, und nichts war mehr zu sehen. Wirklich, kaum zu glauben.«
    Tristan, der auf dem Rücksitz saß, streckte die Hand aus. »Gib sie mir«, sagte er. »Ich nehm sie mit und lasse sie histologisch untersuchen. Dann wissen wir, um was für einen Tumor es sich handelte.«
    Sein Bruder lächelte. »Mag man ihm auch noch so einen phantasievollen Namen geben – für mich bleibt es das einzige, was Mr. Kendall jemals aus der Fassung gebracht hat.«
    »Die Visite bei Mr. Kendall war höchst lehrreich«, sagte ich. »Wunderbar, wie Sie das mit dem Auge gemacht haben, Siegfried. Tadellose Arbeit.«
    »Vielen Dank, James«, murmelte mein Partner. »Nichts weiter als einer von meinen kleinen Tricks – wobei die Pinzette natürlich eine große Hilfe war. Warten Sie, ich zeig sie Ihnen.« Er griff in die Brusttasche, dann in die Rocktaschen, und während er nacheinander sämtliche Taschen durchstöberte, machte er langsam ein immer längeres Gesicht.
    Schließlich gab er die Suche auf, räusperte sich und heftete den Blick auf die Straße vor ihm.
    »Ich, hm... ich zeig sie Ihnen ein andermal, James«, sagte er heiser.
    Ich sagte nichts, aber ich wußte es, und Siegfried wußte es, und Tristan wußte es.
    Er hatte sie auf dem Hof gelassen.

Kapitel 5
     
    ›Montagmorgenkrankheit‹ nannte man es, dieses unglaublich starke Anschwellen der hinteren Gliedmaßen bei Wagenpferden, wenn sie übers Wochenende im Stall gestanden hatten. Allem Anschein nach rief die plötzliche Unterbrechung des gewohnten Arbeitstrotts diese starke Lymphgefäßentzündung und Schwellung hervor, die nicht wenigen Bauern gleich zu Anfang der Woche einen gewaltigen Schrecken einjagte.
    Aber heute war Mittwochabend, und dem großen Wallach von Mr. Crump ging es schon wieder sehr viel besser.
    »Das Bein ist nur noch halb so dick, wie es war«, sagte ich, während ich mit der Hand über die Innenseite des Sprunggelenks fuhr und das im Abschwellen begriffene Ödem befühlte. »Sie müssen hart gearbeitet haben.«
    »Ich habe mich nur an Ihre Anweisungen gehalten.« Mr. Crumps Antwort war lakonisch, wie es seiner Gewohnheit entsprach, aber ich wußte, daß er Stunden damit zugebracht haben mußte, das Bein warm zu baden und zu massieren und das Pferd zum Laufen zu zwingen, wie ich ihm geraten hatte, als ich dem Tier am Montag die Arecolinspritze gab.
    Ich zog eine Spritze für eine weitere Injektion auf. »Er bekommt keinen Hafer, nicht wahr?«
    »Nein, nur Kleie.«
    »Sehr gut. Wenn Sie die Behandlung fortführen, wird er vermutlich in ein bis zwei Tagen wieder in Ordnung sein.«
    Der Bauer brummte etwas vor sich hin. Sein breites purpurrotes Gesicht hatte wie immer einen überraschten Ausdruck. Nichts in seiner Miene verriet, ob er beeindruckt war. Aber ich wußte, er war zufrieden; seine sichtliche Besorgnis bei meinem ersten Besuch hatte mir gezeigt, wie sehr er an dem Pferd hing.
    Ich ging ins Haus, um mir die Hände zu waschen, und Mr. Crump führte mich in die Küche. Langsam und umständlich holte er mir Seife und ein Handtuch, dann trat er schweigend zurück, während ich mich über den langen, flachen Ausguß aus braunem Ton beugte.
    Als ich mir die Hände abtrocknete, räusperte er sich und fragte zögernd: »Möchten Sie ’n Schluck von meinem Wein?«
    Noch ehe ich antworten konnte, kam Mrs. Crump geschäftig

Weitere Kostenlose Bücher