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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Speckseiten, die von der Decke hingen, und auf meinen Gastgeber, der mir gegenüber saß und mich gespannt beobachtete. Er hatte, wie ich erst jetzt bemerkte, noch immer seine Mütze auf.
    »Wissen Sie«, sagte ich, das Glas in die Höhe haltend und den rubinroten Inhalt gegen das Licht betrachtend, »ich vermag mir nicht darüber klarzuwerden, welchem von Ihren Weinen ich den Vorzug geben soll. Sie sind alle ausgezeichnet und doch so verschieden.«
    Mr. Crump warf den Kopf zurück und lachte erfreut, dann füllte er rasch aufs neue unsere Gläser. »Aber Sie kennen ja noch gar nicht alle. Ich habe Dutzende von Sorten da nebenan. Sie müssen noch ein paar probieren.« Wieder schlurfte er zur Vorratskammer, und als er diesmal zurückkam, konnte sein Arm die vielen Flaschen kaum halten.
    Was für ein lieber, netter Mann er doch war, dachte ich im stillen. Ich hatte ihn früher völlig falsch eingeschätzt, hatte ihn für stur und teilnahmslos gehalten, aber jetzt drückte sein Gesicht Freundschaft, Gastlichkeit und Verständnis aus. Er hatte seine Zurückhaltung aufgegeben, und als er sich nun wieder setzte, erzählte er lebhaft über Weine und deren Herstellung.
    Mit leuchtenden Augen und aufgeregter Stimme ließ er sich ausführlich über die Einzelheiten von Gärung und Ablagerung, Bukett- und Aromastoffe aus und wußte die jeweiligen Vorzüge von Chambertin und Nuits St. George, Montrachet und Chablis zu nennen. Enthusiasten sind sympathisch, aber ein Fanatiker ist unwiderstehlich, und ich saß wie gebannt da, während Mr. Crump mir endlose Proben seiner Kunst vorsetzte und dabei sogar einige Sorten fachmännisch miteinander vermischte.
    »Wie finden Sie den?«
    »Sehr gut...«
    »Eine Spur zu süß vielleicht, was meinen Sie?«
    »Ja, mag sein...«
    »Jetzt diesen hier. Vielleicht ’n bißchen zu herb, hm?«
    »Könnte sein... ja...«
    Vorsichtig goß Mr. Crump aus einer anderen Flasche einige Tropfen in mein Glas und fragte:
    »Besser –?«
    »Genau richtig.«
    Mr. Crump schenkte mir Glas um Glas ein. Wir probierten Pastinak und Löwenzahn, Primel und Petersilie, Klee, Stachelbeere, Runkelrübe und Holzapfel. Und wir tranken – so unglaubhaft es auch scheinen mag – einen aus Steckrüben gebrauten Wein, der so köstlich war, daß ich um ein zweites Glas bat.
    Alles verlangsamte sich allmählich, während wir dort saßen. Die Zeit verlangsamte sich, bis sie schließlich bedeutungslos war. Auch Mr. Crump und ich verlangsamten uns, unsere Zungen wurden immer schwerer, unsere Bewegungen immer träger. Der Gang des Bauern in die Vorratskammer entwickelte sich zu mühseligen, schwankenden Ausflügen; manchmal schlug er einen weiten Umweg ein, und einmal ertönte nebenan ein solches Getöse, daß ich dachte, er sei zwischen die Flaschen gefallen. Aber ich konnte mich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und nachzusehen, und kurz darauf kam er zurück, offenbar unverletzt.
    Irgendwann so gegen neun hörte ich ein schwaches Klopfen an der Haustür, aber ich wollte Mr. Crumps tiefgründige Ausführungen nicht unterbrechen. Doch nach einer Weile, gerade als er mir freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte und sich anschickte, mir wieder eine Rede zu halten, vernahm auch er das Klopfen. Im Zickzackkurs steuerte er durch die Küche und ging zur Tür. Draußen stand ein junger Bursche, und ich hörte ein schwaches, unverständliches Murmeln.
    Mr. Crump wandte sich nach mir um. »Es ist der junge Bamford von Holly Bush. Eine Kuh kalbt, und Sie sollen hinkommen – nur knapp eine Meile von hier.«
    »Ja, gut.« Ich rappelte mich auf und mußte mich am Tisch festhalten, denn die Küche drehte sich vor meinen Augen. Als das Schwindelgefühl nachließ, kam es mir vor, als stünde Mr. Crump oben auf einem ziemlich steilen Hang. Komisch – beim Hereinkommen war der Küchenboden doch völlig eben gewesen, während ich jetzt mühsam eine Steigung hinaufklettern mußte.
    Als ich zur Tür kam, starrte Mr. Crump eulengleich in die Dunkelheit.
    »Es regnet«, sagte er. »Es regnet mordsmäßig.«
    Ich blickte auf das stetige Trommeln des Regens auf das Kopfsteinpflaster des Hofes und wollte schon zu meinem nur ein paar Schritte entfernt geparkten Wagen laufen, als der Bauer nach meinem Arm griff.
    »Moment. Sie können so nicht rausgehen.« Er ging wieder in die Küche und stöberte in einer Schublade herum. Schließlich kramte er eine Tweedmütze hervor, die er mir mit würdevoller Geste überreichte.
    Ich trug nie irgendeine

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