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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Knie oder einen Fuß zu stoßen, aber ich wurde enttäuscht: Das Bein lag tatsächlich ganz nach hinten, streckte sich von der Schulter aus flach an der Seite des Kalbes entlang. Trotzdem würde es mir gelingen, es herauszuholen – ich mußte einfach weiter hineinlangen.
    Und ich hatte die beruhigende Gewißheit, daß das Kalb am Leben war. Seine Nase tauchte alle paar Sekunden auf, wie ich sehen konnte, denn ich lag mit dem Kopf ganz dicht am Hinterteil der Kuh. Die kleinen Nasenlöcher zuckten, sobald sie die Luft einzogen. Ich brauchte nur das Bein herumzubringen, dann war alles geschafft.
    Aber der Haken war, daß die Kuh immer wieder preßte und meinen Arm, während ich tiefer hineinlangte, unbarmherzig gegen ihr knochiges Becken quetschte, so daß ich mich ein paar Sekunden lang stöhnend vor Schmerzen wand, bis der Druck nachließ. Während dieser schwierigen Augenblicke fiel meine Mütze des öfteren zu Boden, und jedesmal setzten sanfte Hände sie mir sofort wieder auf.
    Schließlich hielt ich den Fuß in der Hand – es würde diesmal keiner Stricke bedürfen – und versuchte ihn behutsam herumzuziehen. Es dauerte länger, als ich angenommen hatte, und das Kälbchen schien langsam die Geduld mit mir zu verlieren, denn wenn der Kopf durch die Ausstoßkraft der Kuh herausgepreßt wurde, trafen sich unsere Blicke, und ich bildete mir ein, daß das kleine Geschöpf mich verärgert ansah, als ob es sagen wolle: »Um Himmels willen, mach, daß du fertig wirst.«
    Endlich hatte ich das Bein herumgedreht, und innerhalb von Sekunden hatte das Ungeborene die richtige Lage.
    »Packen Sie die Füße«, flüsterte ich den Bamfords zu. Sie beratschlagten leise, dann nahmen sie ihre Plätze ein. Im Handumdrehen lag das kleine Tier zappelnd auf dem Boden, schüttelte den Kopf und stieß schnaubend das Fruchtwasser aus den Nasenlöchern.
    Auf meine geflüsterten Anweisungen hin rieben die Männer das Kälbchen mit Stroh ab und zogen es nach vorn zum Kopf der Mutter, die es sofort eifrig leckte.
    Ein so leises Kalben wie dieses hatte ich noch nie erlebt. Niemand sprach ein lautes Wort, jeder bewegte sich nur auf Zehenspitzen, und als ich mich anzog, war es so still wie in der Kirche. Draußen hauchte ich ein letztes Gutenacht, ehe ich mich ans Steuer setzte, und ließ die Bamfords stumm winkend zurück.
     
    Nur jemand, der schon einmal zwei oder drei Liter verschiedener hausgemachter Weine auf einen Sitz getrunken hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, welches Inferno am nächsten Morgen in meinem Inneren tobte, wie überreizt meine Nerven waren und wie düster meine Stimmung.
    Tristan, der gesehen hatte, wie ich mir im Badezimmer kaltes Wasser über die Zunge laufen ließ, hatte mir ein mit Cognac verquirltes rohes Ei und ein Aspirin verabreicht. Es war gut gemeint, aber das Zeug lag mir schwer im Magen, als ich die Treppe hinunter zum Frühstücken ging.
    »Wie gehen Sie denn?« fragte Siegfried, der bereits am Tisch saß. Seine Stimme klang wie das Gebrüll eines Ochsen. »Sie sehen aus, als hätten Sie sich in die Hosen gemacht.«
    »Oh, nichts weiter.« Es hatte keinen Sinn, ihm zu sagen, daß ich das Gefühl hatte, meine Augäpfel würden aus ihren Höhlen springen, wenn ich meinen Fuß zu plötzlich aufsetzte. »Ich habe gestern abend ein paar Glas von Mr. Crumps Wein probiert, und er scheint mir nicht ganz bekommen zu sein.«
    »Ein paar Glas! Sie hätten sich lieber vorsehen sollen – das Zeug ist gefährlich. Kann den stärksten Mann umwerfen.« Er stellte die Tasse krachend auf die Untertasse und hantierte dann mit Messer und Gabel herum, als wollte er allein ein ganzes Orchester von Blechinstrumenten ersetzen. »Bei den Bamfords waren Sie hoffentlich einigermaßen in Form.«
    Ich zerkrümelte lustlos ein Stückchen Toast auf meinem Teller. »Doch, doch, ich habe die Sache gut über die Bühne gebracht. Aber es ist nicht zu leugnen – ich hatte ein bißchen viel getrunken.«
    Siegfried war wieder einmal in jener Stimmung, wo er einem allen Mut nehmen konnte. »Mein Gott, James, die Leute sind strenge Methodisten. Großartige Burschen, aber absolut fanatische Antialkoholiker. Falls sie gemerkt haben, daß Sie unter Alkoholeinfluß standen, werden sie Sie nie wieder kommen lassen.« Unbarmherzig köpfte er sein Frühstücksei. »Ich kann nur hoffen, sie haben nichts bemerkt. Meinen Sie, die Bamfords wußten, daß Sie getrunken hatten?«
    »Oh, vermutlich nicht. Nein, ich glaube nicht.« Ich schloß die

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