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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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einiges über ihre Bewohner erfahren. Ich wußte, daß Mr. und Mrs. Skelton in Scarburn, als sie zu Anfang des Jahrhunderts eine Familie gründeten, offenbar fest davon überzeugt waren, daß ihre Sprößlinge für große Dinge bestimmt seien: Sie nannten ihre vier Söhne Marmaduke, Sebastian, Cornelius und – so unglaublich es klingen mag – Alonzo. Die beiden mittleren Brüder waren Lastwagenfahrer bei der Milchgenossenschaft, und Alonzo hatte es zu einem kleinen Bauernhof gebracht; ich weiß noch genau, wie erstaunt ich war, als er mir eines Tages seinen Vornamen nannte. Im groben Yorkshire-Dialekt klang der exotische Name so widersinnig, daß ich glaubte, er wolle mich zum Narren halten; ich war schon im Begriff, eine scherzhafte Bemerkung zu machen, aber irgend etwas in seinem Blick veranlaßte mich, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    Marmaduke, oder Duke, wie er fast immer genannt wurde, war die schillerndste Persönlichkeit der Familie. Ich hatte von den Bauern eine Menge über ihn gehört; in ihren Augen war er »eine wirklich gute Hilfe« beim Kalben, Fohlen oder Lammen und »so gut wie jeder Tierdoktor« in der Diagnose und Behandlung von Tierkrankheiten. Außerdem verstand er sich aufs Kastrieren und Kupieren und beherrschte das Schlachten von Schweinen. Er verdiente gut mit seiner Arbeit, und Ewan Ross und er ergänzten einander ideal, denn dieser Kollege von mir in Scarburn arbeitete nur, wenn ihm danach zumute war, und nahm sich nicht die Mühe, einen Besuch zu machen, sofern er keine Lust dazu verspürte. So sehr die Bauern Ewan schätzten – und in vielen Fällen sogar verehrten –, sie waren oft gezwungen, sich mit Dukes Diensten zufriedenzugeben. Ewan war Mitte Fünfzig und der ständig zunehmenden Flut von Tests nicht gewachsen, die über seine Praxis hereinbrach. Ich half ihm manchmal aus und kam daher öfters mit ihm und seiner Frau Ginny zusammen.
    Hätte Duke sich darauf beschränkt, seine Patienten zu behandeln, so hätte Ewan wohl kaum einen Gedanken an ihn verschwendet; aber Skelton hatte die Angewohnheit, über den alten schottischen Tierarzt zu spötteln, der, wie er erklärte, noch nie viel getaugt habe und mit dem es inzwischen endgültig vorbei sei. Möglich, daß solche Behauptungen keinen tieferen Eindruck auf Ewan machten, aber sobald der Name seines Rivalen erwähnt wurde, strafften sich seine Lippen, und die blauen Augen nahmen einen grübelnden Ausdruck an.
    Es war nicht leicht, Duke zu mögen. Die Leute erzählten sich von seinen wüsten Raufereien und wie er Frau und Kinder mißhandele, wenn er angetrunken nach Hause kam. Auch sein Äußeres erschien mir wenig anziehend: ein schwarzer ungeschlachter Kerl mit zottiger Mähne und finsterem, unruhig schweifendem Blick. In der Art, wie er das hellrote Tuch um den Hals gebunden trug, lag ein Anflug von Angeberei.
    Doch an diesem Nachmittag, da ich bequem in einem Sessel neben Ross’ Kamin saß, beschäftigten sich meine Gedanken nicht im mindesten mit Duke Skelton, genaugenommen dachte ich überhaupt an nichts Besonderes. Ich hatte gerade zu Mittag gegessen: ein Gericht mit dem anspruchslosen Namen Fischpastete, das es aber in sich hatte. Durch den Zusatz von Kartoffeln, Tomaten, Eiern, Makkaroni und anderen Dingen, die nur Ginny kannte, wurde aus dem anspruchslosen Schellfisch eine delikate Mahlzeit, die mit einem köstlichen Apfelkuchen ihren krönenden Abschluß fand.
    Schläfrig dachte ich über dieses und jenes nach: daß das Haus und seine Bewohner eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich ausübten; daß, wenn ich noch länger hier sitzen blieb, Siegfried vermutlich doppelte Arbeit leisten müßte, als das Telefon klingelte.
    Wie die meisten Tierärzte bin ich auf die Glocke gedrillt und fuhr zusammen, aber Ewan rührte sich nicht. Seelenruhig trank er seinen Kaffee, während Ginny den Hörer abnahm, und hörte sich gleichgültig an, was seine Frau ihm zuflüsterte: »Es ist Tommy Thwaite. Eine Kuh hat einen Gebärmuttervorfall.«
    Diese schreckliche Mitteilung hätte mich aufspringen und erregt im Zimmer umherlaufen lassen, aber Ewan nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee, ehe er antwortete.
    »Vielen Dank, Liebes. Bitte sag ihm, ich komme nachher rüber und seh sie mir an.«
    Ewan machte einen völlig uninteressierten Eindruck. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und nahm wieder gemächlich die Tasse zur Hand. Dann schloß er die Augen, und ich glaubte schon, er sei im Begriff, ein

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