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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Körper mit dem üppigen, borstigen Fell, der große, fast edle Kopf mit den hohen Spitzohren, die kurzen X-Beine und der auffallende Schwanz machten ihn doch mehr zu einer Promenadenmischung.
    Die Leute belegten Percy erbarmungslos mit allen möglichen wenig schmeichelhaften Namen, und wenn der kleine Mann diese Sticheleien auch mit einem schwachen Lächeln über sich ergehen ließ, wußte ich doch, daß sie ihn verletzten. Er hatte eine hohe Meinung von mir, was darauf zurückzuführen war, daß ich, als ich Percy zum erstenmal sah, spontan ausgerufen hatte: »Was für ein reizendes kleines Hündchen!« Und da ich mich aus Zeitmangel nie mit den Feinheiten der Hundezucht befaßt hatte, war es mir wirklich ganz ernst damit.
    »Was ist los mit ihm, Mr. Partridge?« fragte ich. »Ich kann nichts Ungewöhnliches entdecken.«
    Der kleine Mann wurde wieder verlegen. »Nun, beobachten Sie ihn einmal beim Gehen. Komm, Percy, mein Liebling.« Mr. Partridge ging ein paar Schritte durchs Zimmer, und der Hund folgte ihm.
    »Nein... doch, warten Sie.« Ich kauerte mich nieder. »Bitte, bleiben Sie, wo Sie sind.«
    Ich ging hinüber und sah mir das Tier aufmerksam an. »Ja, jetzt sehe ich es. Einer seiner Hoden ist leicht vergrößert.«
    »Ja... ja...« Mr. Partridge wurde rot. »Das ist es... hm... was ich meinte.«
    »Halten Sie ihn eine Sekunde fest, damit ich ihn untersuchen kann.« Ich griff nach dem Skrotum und tastete es vorsichtig ab. »Ja, der linke ist eindeutig größer, und er ist auch härter.«
    »Ist es... irgend etwas Ernstes?«
    Ich schwieg einen Augenblick, dann sagte ich: »Nein, ich glaube nicht. Hodentumore sind bei Hunden nichts Ungewöhnliches, und zum Glück neigen sie im allgemeinen nicht dazu, Metastasen, das heißt, Tochtergeschwülste an anderen Körperstellen, zu bilden. Sie brauchen sich, glaube ich, keine allzu großen Sorgen zu machen.«
    Ich setzte die letzten Worte ein wenig hastig hinzu, denn bei dem Wort Tumor war alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen.
    »Das ist ein Gewächs, nicht wahr?« stammelte er.
    »Ja, aber durchaus nicht alle sind bösartig. Im Augenblick brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen, aber Sie sollten das Tier beobachten. Vielleicht wächst die Geschwulst ja nicht weiter. Tut sie es aber, sagen Sie mir bitte sofort Bescheid.«
    »Ja, natürlich... und wenn sie wächst?«
    »Dann müßte der Hoden operativ entfernt werden.«
    »Eine Operation?« Mr. Partridge sah mich entsetzt an, und einen Augenblick lang glaubte ich, er werde in Ohnmacht fallen.
    »Ja, aber keine schwere. Glauben Sie mir, die Sache ist wirklich ganz unkompliziert.« Ich bückte mich und tastete die Vergrößerung noch einmal ab. Sie war geringfügig. Unterdessen ließ Percy ein melodisches Knurren hören. Ich grinste. Das tat er immer – wenn ich ihn untersuchte, seine Temperatur maß, ihm die Nägel schnitt oder was auch immer. Ein pausenloses Brummen, womit er lediglich seine Männlichkeit behaupten, mir zeigen wollte, was für ein schneidiger Bursche er war – was übrigens keine eitle Prahlerei war, denn trotz seiner Kleinheit war er ein stolzer, mutiger Hund mit ausgeprägtem Charakter.
    Als ich das Haus verließ und mich auf der Straße noch einmal umdrehte, merkte ich, daß Mr. Partridge in der Tür stand und mir nachsah. Er wirkte in diesem Augenblick sehr klein und hilflos.
    Und selbst als ich nachher wieder in der Praxis war, weilte ich in Gedanken noch in dem kleinen Atelier. Ich bewunderte Mr. Partridge wegen seines Muts, ganz seinen Neigungen zu leben, was ihm von niemandem in Darrowby als Verdienst angerechnet wurde. Ein kühner Reiter oder ein tüchtiger Kricketspieler wäre allgemeiner Verehrung sicher gewesen, aber ein Künstler – kein Gedanke, und sei er noch so berühmt, aber Mr. Partridge würde nie berühmt werden. Hin und wieder kaufte jemand eines von seinen Gemälden, aber davon hätte er nicht leben können. Ich hatte auch ein Bild von ihm in unserem Wohnschlafzimmer hängen, und meiner Meinung nach war er eindeutig begabt. Im Grunde hätte ich gern noch mehr von ihm erworben, aber gerade das, was ich als so typisch für die Dales empfand – der Zauber der endlosen, einsamen Moore beispielsweise, wo die Schilfrohre zitternd aus den schwarzen Schlammtümpeln ragten –, zog ihn als Motiv nicht an. Er bevorzugte die traulicheren Dinge: Weiden neben einer ländlichen Brücke, kleine Dorfkirchen, rosenbewachsene Häuschen.
     
    Da Percy in meiner unmittelbaren

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