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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Kosten gescheut und ein wunderbares kaltes Büfett aufbauen lassen.
    Ich wußte, ich hatte zuviel getrunken, und jetzt aß ich zuviel. Aber mir blieb nichts anderes übrig, denn Granville sah es als eine persönliche Beleidigung an, wenn ich irgend etwas zurückwies.
    »Probieren Sie eins von diesen Krabbendingern«, sagte er zum Beispiel, während er selbst genüßlich in eine Blätterteigpastete mit Pilzfüllung biß, und als ich zögerte, nahmen seine Augen einen gekränkten Ausdruck an.
    Doch ich unterhielt mich glänzend. Tierärzte sind mir der liebste Umgang, und wie stets ergötzte ich mich an den Erfolgen und Mißerfolgen, von denen sie berichteten. Vor allem an den Mißerfolgen: Sie waren so beruhigend. Den Gedanken, wie wir wohl nach Hause kamen, verdrängte ich, sobald er nur auftauchte.
    Granville schien, was das anging, überhaupt keine Bedenken zu haben, denn selbst als die meisten Gäste das ›Pemberton Arms‹ schon verlassen hatten, machte er noch keine Anstalten zu gehen. Schließlich standen nur noch wir beide an der Theke, und Bob und Reg ließen es sich nicht nehmen, uns zum Schluß noch einen Abschiedstrunk zu kredenzen.
    Ich fühlte mich heiter und beschwingt, als wir das Hotel verließen; mir war vielleicht ein bißchen schwindlig, und ich empfand so etwas wie Reue, daß ich mir eine zweite Portion Schokoladencreme mit Schlagsahne hatte aufschwatzen lassen, aber sonst ging es mir glänzend. Als wir uns in die Polster des Bentley sinken ließen, zeigte sich Granville äußerst befriedigt.
    »Eine großartige Veranstaltung, Jim. Ich habe Ihnen ja gesagt, die Fahrt würde sich lohnen.«
    Wir waren die einzigen, die in östlicher Richtung fuhren, und außer uns war weit und breit niemand zu sehen. Mir fiel ein, daß wir schon auf dem Hinweg mutterseelenallein auf der Landstraße gewesen waren, und plötzlich überkam mich ein unbehagliches Gefühl der Isolation. Es hatte aufgehört zu schneien, und der bleiche Mond goß sein kaltes Licht über eine weiße, menschenleere Welt. Das heißt: menschenleer, bis auf uns, und das Gefühl unserer Einsamkeit wurde doppelt unterstrichen durch den glatten, unberührten Zustand des glitzernden Teppichs, der vor uns lag.
    Ich wurde mir einer steigenden Unruhe bewußt, als sich der große Bergrücken des Penninischen Gebirges schattenhaft vor uns auftürmte, und als wir näher kamen, erhob er sich drohend wie ein zorniges weißes Ungeheuer.
    Vorbei an den mit Schnee beladenen Dächern von Brough, dann der lange Anstieg, bei dem der große Wagen von einer Seite zur anderen rutschte. Mit dröhnendem Motor fuhr Granville den steilen Hang hinauf. Ich hatte geglaubt, wenn wir erst einmal oben wären, würde ich mich wohler fühlen, aber beim Anblick der Straße von Bowes Moor lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter: ein meilenlanges, schmales Band, das sich in zahllosen Windungen durch den ödesten Landstrich ganz Englands zog. Und selbst aus dieser Entfernung konnte man die fürchterlichen Verwehungen sehen, die, seidenglatt und schön, die Straße blockierten.
    Zu beiden Seiten des Weges erstreckte sich eine hügelige, endlose weiße Wüste bis zum schwarzen Horizont; nirgends war ein Licht, eine Bewegung, ein Lebenszeichen zu sehen.
    Die Pfeife wippte angriffslustig, als Granville aufs Gaspedal trat und sich in den Kampf stürzte. Wir stießen auf die erste Wehe, schlitterten sekundenlang, dann hatten wir es geschafft und fuhren weiter. Dann die nächste Wehe und die übernächste und die überübernächste. Oft glaubte ich, wir säßen fest, aber jedesmal kamen wir mit dröhnendem Motor und schwer arbeitenden Rädern wieder heraus. Ich war selbst viel auf verschneiten Straßen gefahren und wußte Granvilles Geschicklichkeit zu würdigen, wenn er, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, sich bei jeder Wehe die flachste und schmälste Stelle aussuchte, um möglichst glatt hindurchzukommen. Gewiß, der schwere, starke Wagen war eine Hilfe, aber Granville konnte fahren, daran war nicht zu zweifeln.
    Meine Angst, im Schnee steckenzubleiben, wurde jedoch allmählich von einem anderen Unbehagen überschattet. Als ich das Hotel verließ, hatte ich mehr als genug intus. Unter normalen Bedingungen wäre sicher alles gutgegangen, doch ich hatte schon auf der holprigen Straße nach Brough eine zunehmende Übelkeit gespürt; reumütig erinnerte ich mich an Regs Spezialität, einen exotischen Cocktail, den ich auf Granvilles Drängen unbedingt probieren mußte; ich

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