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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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gekleidete Mann mittleren Alters der Sohn eines Kleinbauern war, dessen Vorfahren durch viele Generationen hindurch Ackerbau und Viehzucht betrieben hatten.
    »Ich habe Sie zufällig vorbeigehen sehen, Mr. Herriot«, sagte er. »Haben Sie es sehr eilig?«
    »Nein, es geht. Kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    Er nickte ernst. »Hätten Sie wohl einen Augenblick Zeit, sich Percy anzusehen? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«
    »Ja, gern. Wo ist er?«
    Er wollte mich gerade in die Küche führen, da klopfte es an der Haustür, und Bert Hardisty, der Postbote, kam herein. Bert war ein grober, ungehobelter Bursche, und er warf das Paket, das er gebracht hatte, einfach auf den Tisch.
    »Hier, Rolie, für dich!« brummte er und wandte sich zum Gehen.
    Mr. Partridge blickte mit ruhiger Würde der sich entfernenden Gestalt nach. »Ich danke dir vielmals, Bertram. Guten Tag.«
    Auch das war bemerkenswert: Der Postbote und der Maler waren beide in Darrowby geboren und zur Schule gegangen, stammten aus der gleichen sozialen Schicht, und doch war ihre Redeweise völlig verschieden: Während Bert im Dialekt der Gegend sprach, drückte sich Roland Partridge so gewählt und umständlich aus wie ein Rechtsanwalt vor Gericht.
    Wir gingen in die Küche, wo er, da er Junggeselle war, sich selbst sein Essen kochte. Nach dem Tode seines Vaters hatte er den Hof sofort verkauft. Offenbar entsprach das erdgebundene Bauernleben ganz und gar nicht seiner Natur, und er konnte sich nicht schnell genug davon befreien. Jedenfalls hatte der Verkauf ihm soviel Geld eingebracht, daß er sich seinen Interessen widmen konnte, und er hatte sich dieses bescheidene kleine Haus gekauft und zu malen angefangen. Das alles hatte sich lange vor meiner Zeit zugetragen, und das glatte Haar war jetzt silbern. Ich hatte immer das Gefühl, daß er mit seinem Leben recht zufrieden war. Auf einem schlammbedeckten Hof, in grober Arbeitskleidung, konnte ich mir diese kleine, zarte Gestalt wirklich nicht vorstellen.
    Es stand wahrscheinlich im Einklang mit seinem Charakter, daß er nie geheiratet hatte. Die eingefallenen Wangen, die blaßblauen Augen hatten etwas leicht Asketisches, und sein zurückhaltendes, stets gleichbleibendes Wesen deutete vielleicht sogar auf einen Mangel an Gefühlswärme hin. Aber das galt nicht für seinen Hund Percy.
    Er liebte Percy mit einer ungestümen, beschützerischen Leidenschaft, und als das kleine Tier jetzt auf ihn zukam, beugte er sich mit einem Ausdruck tiefer Zärtlichkeit zu ihm hinunter.
    »Ich finde, er sieht sehr munter aus«, sagte ich. »Fehlt ihm irgend etwas?«
    »Nein... nein...« Mr. Partridge wirkte merkwürdig verlegen. »Er ist an sich völlig gesund, aber ich möchte, daß Sie ihn sich einmal ansehen und mir sagen, ob Sie irgend etwas bemerken.«
    Ich sah Percy an. Und ich sah nur, was ich immer gesehen hatte – das schneeweiße, zottelhaarige kleine Geschöpf, das von einheimischen Hundezüchtern und anderen Sachkennern für eine nichtssagende Promenadenmischung gehalten wurde, nichtsdestoweniger aber zu meinen Lieblingspatienten gehörte. Vor fünf Jahren hatte Mr. Partridge zufällig in das Schaufenster einer Tierhandlung in Brawton geblickt und war sofort dem Charme zweier seelenvoller Augen erlegen, die ihn aus dem Gesicht eines sechs Wochen alten, winzig kleinen Wollknäuels ansahen, und er hatte den Betrag von fünf Shilling entrichtet und das kleine Geschöpf eilig mit nach Hause genommen. In der Tierhandlung hatte man Percy vage als ›Terrier‹ bezeichnet, und Mr. Partridge hatte angstvoll mit dem Gedanken gespielt, ihm den Schwanz stutzen zu lassen; aber seine Liebe zu Percy war so groß, daß er es nicht über sich brachte, ihm das anzutun, und der Schwanz hatte sich zu einem langen, gefransten Gebilde ausgewachsen, das einen fast kompletten Kreis über dem Rücken beschrieb.
    In meinen Augen bildete der Schwanz ein gutes Gegengewicht zu dem im Verhältnis zur Körpergröße etwas zu groß geratenen Kopf, aber gerade unter dem Schwanz hatte Mr. Partridge sehr zu leiden gehabt. Seine alten Freunde in Darrowby, die sich, wie alle Bauern, für Tiersachverständige hielten, spotteten fortwährend darüber: »Laß dem Hund doch bloß diesen Schwanz abschneiden, Rolie. Ich beiß ihn für dich ab, wenn du willst. Der Hund sieht verdammt albern damit aus.«
    Wenn man Mr. Partridge fragte, zu welcher Rasse Percy gehöre, antwortete er stolz: »Sealyham-Kreuzung«, aber diese Erklärung war zu einfach: Der kleine

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