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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Nachbarschaft lebte und sein Herr ihn regelmäßig spazierenführte, sah ich ihn fast täglich, entweder von unserem Fenster im obersten Stockwerk oder unten von der Praxis aus. Doch auf diese Entfernung ließ sich unmöglich erkennen, ob der Tumor sich vergrößerte, und da ich nichts von Mr. Partridge hörte, nahm ich an, es sei alles in bester Ordnung. Vielleicht war das Ding nicht weitergewachsen. Das gab es.
    Ungefähr sechs Wochen vergingen, da kam Mr. Partridge eines Tages in die Sprechstunde. Er machte einen sehr besorgten Eindruck. »Ich möchte Sie bitten, sich Percy noch einmal anzusehen, Mr. Herriot.«
    Ich hob den Hund auf den Operationstisch, und ich brauchte ihn nicht erst lange zu untersuchen, um zu sehen, was los war.
    »Die Geschwulst hat sich leider ziemlich vergrößert.« Ich sah den kleinen Mann über den Tisch hinweg an.
    »Ja, ich weiß.« Er zögerte. »Was schlagen Sie vor?«
    »Da gibt es im Grunde nichts zu überlegen. Wir müssen das Ding unbedingt entfernen.«
    Der flatternde Blick hinter den dicken Brillengläsern verriet, wie entsetzt und verzweifelt er war.
    »Eine Operation!« Er stützte sich mit beiden Händen schwer auf den Tisch. »Der Gedanke ist mir einfach schrecklich!«
    Ich lächelte beruhigend. »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, aber Sie brauchen sich wirklich keine Sorgen zu machen. Glauben Sie mir, die Operation ist völlig harmlos.«
    »Jaja, ich weiß«, jammerte er. »Aber ich will nicht, daß... daß an ihm herumgeschnitten wird, verstehen Sie? Diese Vorstellung ist mir einfach unerträglich.«
    Ich konnte ihn nicht überreden. Er blieb unnachgiebig und marschierte entschlossen mit seinem Liebling hinaus. Ich sah ihm nach, wie er die Straße überquerte, und wußte, daß er sich durch seine Uneinsichtigkeit eine schwere Sorgenlast aufgebürdet hatte; aber wie schlimm es in Wirklichkeit werden würde, das ahnte ich nicht.
    Es sollte ein richtiges Martyrium werden.

Kapitel 18
     
    Ich glaube, Martyrium ist ein recht anschauliches Wort für das, was Mr. Partridge im Laufe der nächsten Wochen zu erdulden hatte, denn mit der Zeit wurde der Hoden immer größer, und so wie Percy seinen Schwanz trug, war er nur allzu deutlich sichtbar.
    Die Leute drehten sich neugierig auf der Straße um, wenn Herr und Hund vorübergingen, wobei Percy tapfer seines Weges schritt, während Mr. Partridge den Blick starr geradeaus gerichtet hielt und so tat, als sei ihm nicht bewußt, daß es irgend etwas Ungewöhnliches zu sehen gab. Es schmerzte mich, die beiden zu beobachten, und ich fand den Anblick des auf so groteske Weise entstellten kleinen Hundes nur schwer zu ertragen.
    Mr. Partridges künstlerische Ambitionen hatten ihn von jeher dem Spott der Nachbarn ausgesetzt, doch das hatte er gleichmütig über sich ergehen lassen; aber daß die boshaften Bemerkungen sich jetzt gegen seinen Liebling richteten, brach ihm schier das Herz.
    Eines Nachmittags kam er mit ihm in die Praxis, und ich sah, daß der kleine Mann den Tränen nahe war. Bedrückt untersuchte ich das kranke Organ, das jetzt dick geschwollen war und etwa fünfzehn Zentimeter lang herabbaumelte – ganz unbestreitbar ein absurder Anblick.
    »Mr. Herriot«, sagte Mr. Partridge verzweifelt, »die Jungens lachen auf der Straße hinter mir her. Was soll ich bloß machen? Ich kann kaum noch schlafen!«
    »Ja, aber warum um Himmels willen lassen Sie mich ihn auch nicht operieren? Die ganze Geschichte wäre im Handumdrehen erledigt.«
    »Nein! Nein! Das bringe ich nicht fertig!« Er war ein Bild des Jammers, wie er mit herabhängenden Schultern dastand und mich verzweifelt anstarrte. »Ich habe Angst, das ist der Grund. Ich habe Angst, daß er in der Narkose sterben könnte.«
    »Aber ich bitte Sie! Er ist ein kräftiges kleines Tier. Es gibt überhaupt keinen Grund für solche Befürchtungen.«
    »Aber es besteht ein Risiko, nicht wahr?«
    Ich sah ihn hilflos an. »Ja, irgendwie besteht bei jeder Operation ein kleines Risiko, doch in diesem Fall ist es wirklich...«
    »Danke. Das genügt. Ich will nichts mehr davon hören«, stieß er hervor, griff nach Percys Leine und ging mit langen Schritten hinaus.
    Es wurde immer schlimmer. Der Tumor wuchs zusehends, war jetzt vom Fenster der Praxis aus deutlich zu erkennen, wenn Percy auf der anderen Straßenseite vorüberging, und ich merkte auch, daß die neugierigen und spöttischen Blicke und Äußerungen Mr. Partridge sehr zusetzten. Die Backenknochen traten hervor, und er hatte längst

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