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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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brachte.
    Sam hatte mich von Anfang an in sein Hundeherz geschlossen. Man hätte meinen können, er habe das Handbuch des treuen Hundes studiert, denn er wich mir nicht von der Seite: die Pfoten auf dem Armaturenbrett, saß er im Wagen neben mir und spähte neugierig durch die Windschutzscheibe; abends, wenn ich im Sessel saß, hatte er den Kopf auf meinem Fuß; wohin ich auch ging, immer kam er mit. Trank ich irgendwo ein Bier, lag er unter meinem Stuhl, und mußte ich mir die Haare schneiden lassen, konnte man ihn zu meinen Füßen mit unter dem weißen Umhang hocken sehen. Lediglich ins Kino wagte ich ihn nicht mitzunehmen, und wenn er bei solchen Gelegenheiten zu Hause bleiben mußte, kroch er stets unters Bett und schmollte.
    Fast alle Hunde fahren gerne Auto, aber Sam war ganz versessen darauf, und seine Leidenschaft fürs Autofahren flaute auch nachts nicht ab. Freudig sprang er aus seinem Korb, streckte sich ein paarmal und folgte mir in die Kälte hinaus. Noch ehe ich die Wagentür richtig geöffnet hatte, war er bereits auf dem Sitz, und diese Gewohnheit von ihm gehörte so fest zu meinem Leben, daß ich noch eine ganze Weile nach seinem Tod unwillkürlich die Tür offenhielt und auf ihn wartete. Und ich weiß noch, daß ich mir jedesmal von neuem meines Verlustes schmerzlich bewußt wurde.
    Ihn bei mir zu haben, war eine unschätzbare Bereicherung der kurzen Atempausen, die ich mir bei meinen täglichen Runden gönnte. In den Büros und Fabriken macht man eine Teepause, ich dagegen hielt einfach den Wagen an, trat in die Herrlichkeit der Natur hinaus, die mich überall umgab, und wanderte ein Stück durch den Wald oder, wie heute, einen der grasbewachsenen Pfade im Hochmoor entlang.
    Diese Spaziergänge hatte ich schon immer gemacht, aber jetzt maß ich ihnen viel mehr Bedeutung bei. Jeder, der einmal mit einem Hund spazierengegangen ist, weiß, was für eine tiefe Befriedigung es einem gibt, einem geliebten Tier ein Vergnügen zu bereiten, und beim Anblick der kleinen Gestalt, die vor mir her lief, empfand ich eine nie gekannte Freude.
    Hinter einer Wegbiegung gelangte ich zu einer Stelle, wo es sanft bergab ging und der Weg in einer kleinen, heidekrautbewachsenen Mulde endete, die einladend in der Sonne leuchtete. Es war eine Aufforderung, der ich noch nie hatte widerstehen können. Ich blickte auf die Uhr: Ja, ein paar Minuten konnte ich mir noch gönnen; außer Mr. Dacres Tuberkulintest hatte ich ohnedies nichts Dringendes zu erledigen. Sekunden später lag ich ausgestreckt auf dem federnden Gewächs, der herrlichsten Naturmatratze der Welt.
    Die Augen halb geschlossen gegen den grellen Glanz der Sonne, umgeben vom schweren Duft des Heidekrauts, sah ich von meinem bequemen Muldenplatz aus, wie die Wolkenschatten über die Berghänge zogen und die Furchen und Spalten in vorübergehende Dunkelheit tauchten, die jedoch gleich darauf von frischem, leuchtendem Grün verdrängt wurde.
    An solchen Tagen empfand ich es immer als ein besonderes Glück, eine Landpraxis zu haben: Tage, an denen die düsteren, kahlen Gipfel von goldenem Sonnenlicht überflutet waren, an denen ich mich eins fühlte mit dem Leben und Wachsen der Natur ringsum, und wo ich froh war – entgegen allen anderen Plänen –, Landtierarzt geworden zu sein.
    Mein Partner sauste in diesem Augenblick vermutlich mit wilder Energie von einem Hof zum anderen, während Tristan in Skeldale House über seinen Büchern saß, eine ganz seltsame Vorstellung, denn ich hatte Tristan noch nie im Leben ein Lehrbuch aufschlagen sehen. Er war mit einer Intelligenz gesegnet, die jedes Büffeln überflüssig machte, aber er sollte in diesem Jahr sein Schlußexamen ablegen, und darauf mußte selbst er sich vorbereiten. Ich zweifelte nicht daran, daß er bald seine Approbation haben würde; in gewisser Hinsicht wollte es mir jedoch wie ein Jammer erscheinen, daß sein freier, unabhängiger Geist von den Realitäten der tierärztlichen Praxis eingeengt werden sollte. Es würde das Ende eines leuchtenden Kapitels sein.
    Ein Kopf mit langen Ohren schob sich zwischen mein Gesicht und die Sonne, als Sam herbeikam und sich auf meine Brust setzte. Er sah mich fragend an. Diese Faulheit war nicht nach seinem Geschmack, aber ich wußte, wenn ich mich nicht bewegte, würde er sich nach ein paar Minuten gleichmütig auf mir zusammenrollen und schlafen, bis ich zum Gehen bereit war. Aber diesmal folgte ich seiner stummen Bitte; ich richtete mich auf, und er sprang freudig

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