Tiere essen
stand.
»30 Kilo.«
Ich konnte ihren Tonfall nicht so recht deuten. Klang da Stolz heraus? Leiser Trotz? Scham?
»Darf ich fragen, warum?«
Sie öffnete einen Schrank und holte einen dicken Packen Gutscheine heraus, auf denen jeweils für den Kauf von einer Tüte Mehl eine weitere umsonst angeboten wurde.
»Wie bist du an so viele Gutscheine gekommen?«, fragte ich.
»Das war kein Problem.«
»Was hast du mit dem ganzen Mehl vor?«
»Ich backe Kekse.«
Ich versuchte mir vorzustellen, wie meine Großmutter es geschafft hatte, die vielen Mehltüten vom Supermarkt nach Hause zu schleppen, denn sie hatte nie in ihrem Leben selbst ein Auto gesteuert. Jemand musste sie, wie immer, gefahren haben, aber hatte sie alle 60 Tüten in ein Auto verfrachtet, oderwar sie mehrmals zum Supermarkt unterwegs gewesen? So wie ich meine Großmutter kannte, hatte sie sich wahrscheinlich genau überlegt, wie viele Mehltüten sie bei einer Fahrt transportieren konnte, ohne den Fahrer übermäßig zu strapazieren. Dann hatte sie Kontakt zu der erforderlichen Anzahl von Freunden aufgenommen und dementsprechend viele Ausflüge zum Supermarkt gemacht, vermutlich an einem Tag. Ob sie das mit Erfindungsgabe meinte, wenn sie mir immer erzählte, ihr Glück und ihre Erfindungsgabe hätten sie durch den Holocaust gebracht?
Bei vielen Einkaufsaktionen bin ich der Komplize meiner Großmutter gewesen. Ich entsinne mich noch an ein Sonderangebot für irgendein Frühstücksmüsli mit Ballaststoffen, das auf drei Packungen pro Kunde beschränkt war. Nachdem sie selbst drei Packungen gekauft hatte, schickte meine Großmutter meinen Bruder und mich für jeweils drei weitere los. Sie wartete in der Zeit am Ausgang auf uns. Was dachte sich wohl die Kassiererin, als sie uns sah? Ein fünfjähriger Junge, der einen Gutschein einlöst, um mehrere Packungen eines Nahrungsmittels zu kaufen, das noch nicht einmal ein wirklich ausgehungerter Mensch freiwillig essen würde? Eine Stunde später gingen wir noch einmal hin und wiederholten das Ganze.
Das Mehl verlangte Antworten. Für wie viele Menschen wollte sie die vielen Kekse backen? Wo versteckte sie die 1400 Eierkartons? Und vor allem: Wie hatte sie die vielen Tüten in den Keller bekommen? Ich kenne diverse ihrer altersschwachen Chauffeure und weiß, dass sie die Schlepperei nicht übernommen hatten.
»Mehltüte für Mehltüte«, sagte sie und wischte den Tisch mit der Hand ab.
Mehltüte für Mehltüte. Meine Großmutter hat schon Probleme, Schritt für Schritt vom Auto bis zur Haustür zu kommen. Sie atmet langsam und schwer, und bei einem ihrer letzten Arztbesuche wurde festgestellt, dass sie die gleiche Herzfrequenz wie der große Blauwal hat.
Sie wünscht sich immer, noch bis zur nächsten Bar-Mizwa zu leben, aber ich glaube, sie lebt mindestens noch zehn Jahre. Sie gehört nicht zu den Menschen, die sterben. Sie könnte 120 werden, ohne auch nur die Hälfte des Mehls zu verbrauchen. Und das weiß sie wohl auch.
Wohlfühlessen
Eines Abends, als mein Sohn vier Wochen alt war, bekam er leichtes Fieber. Am nächsten Morgen hatte er Atemprobleme. Wir folgten dem Rat unseres Kinderarztes und brachten ihn in die Notaufnahme, wo man bei ihm ein RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus) feststellte. Bei Erwachsenen führt es zu einer Art grippalem Infekt, bei Babys jedoch kann es äußerst gefährlich und sogar lebensbedrohlich sein. Wir verbrachten schließlich eine Woche auf der Kinderintensivstation; meine Frau und ich schliefen abwechselnd in dem Sessel, der im Zimmer unseres Sohns stand, und auf dem Lehnstuhl im Warteraum.
Vom zweiten bis zum fünften Tag brachten unsere Freunde Sam und Eleanor uns Essen vorbei. Jede Menge Essen, weitaus mehr, als wir verzehren konnten: Linsensalat, Schokoladentrüffeln, geschmortes Gemüse, Nüsse und Beeren, Pilzrisotto, Kartoffelpuffer, grüne Bohnen, Nachos, Wildreis, Haferbrei, getrocknete Mango, Pasta Primavera, Chili – alles Wohlfühlessen. Wir hätten in die Cafeteria gehen oder uns etwas kommen lassen können. Und sie hätten ihre Zuneigung durch Besuche und freundliche Worte ausdrücken können. Stattdessen haben sie uns das viele Essen gebracht, und es war eine kleine Geste, die uns gutgetan hat. Vor allem deshalb – und es gibt viele andere Gründe – ist ihnen dieses Buch gewidmet.
Wohlfühlessen, Forts.
Am sechsten Tag konnten meine Frau und ich zum ersten Mal seit unserer Ankunft das Krankenhaus gemeinsam verlassen. Unser Sohn war
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