Tiere essen
bewegen kann, damit der »Knocker« – der Arbeiter mit dem Betäubungsgerät, dem »Schocker« – den Stromstoß auf der Schädeldecke des Schweins setzen kann, sodass es im Idealfall sofort das Bewusstsein verliert. Niemand will mir einen Grund dafür nennen, wieso dieser Apparat und seine Funktion vor allen Blicken außer denen des Knockers verborgen werden müssen, aber Vermutungen drängen sich auf. Sicherlich sollen die anderen Angestellten ihrer Arbeit nachgehen können, ohne ständig daran erinnert zu werden, dass sie Wesen zerlegen, die eben noch lebendig waren. Wenn das Schwein in ihr Blickfeld kommt, ist er oder sie schon ein Ding.
Durch diese Anordnung wird allerdings auch dem Inspektor des Agrarministeriums, Doc, die Sicht auf die Schlacht verstellt. Das scheint problematisch, denn es fällt in seine Verantwortung, die lebenden Tiere nach Krankheiten oder Gebrechen zu untersuchen, die sie ungeeignet für den menschlichen Verzehr machen. Außerdem – und dies ist ein sehr wichtiger Aspekt, besonders aus Sicht des Schweins – hat er ganz allein darauf zu achten, dass human geschlachtet wird.
Dave Carney, früher selbst amtlicher Schlachthofinspektor und jetzt Vorsitzender der National Joint Council for Food Inpection Locals (Gewerkschaft der Lebensmittelkontrolleure), sagte dazu: »So wie die Schlachthöfe gebaut und aufgeteilt sind, findet die Fleischbeschau immer weiter hinten am Fließband statt. Meistens kann der Inspektor den Schlachtvorgang von seinem Standort aus nicht mal sehen. Es ist praktisch unmöglich, den Schlachtbereich zu überwachen, wenn man gleichzeitig versucht, an den vorbeisausenden Tierkörpern Krankheiten und Anomalien festzustellen.« Ein Inspektor aus Indiana bestätigt das: »Da, wo wir eingesetzt werden, können wir nicht sehen, was passiert. In sehr vielen Schlachthöfen ist der Tötungsbereich durch Wände vom Rest des Schlachtraums abgetrennt. Ja, wir müssten das Töten eigentlich überwachen. Aber wie soll man so etwas überwachen, wenn man seinen Posten nicht verlassen darf, um nachzuschauen, was dort passiert?«
Ich frage Mario, ob der Schocker immer richtig funktioniert.
»In 80 Prozent der Fälle, schätze ich, kriegen wir sie mit dem ersten Stoß bewusstlos. Wir wollen nicht, dass das Tier noch etwas spürt. Einmal funktionierte das Gerät nicht richtig und verpasste dem Tier nur die halbe Ladung. Da muss man wirklich aufpassen – vorm Schlachten immer noch mal testen. Es kann immer vorkommen, dass Geräte nicht richtig arbeiten. Darum haben wir auch ein Bolzenschussgerät als Ersatz. Das setzt man ihnen auf den Kopf, und dann wird ihnen ein Stahlstift in den Schädel geschossen.«
Nach dem ersten oder höchstens zweiten Stromstoß, der das Schwein hoffentlich bewusstlos gemacht hat, wird es an den Füßen aufgehängt und »gestochen« – am Hals aufgeschnitten –, damit es ausblutet. Danach wird es in den Brühkessel gesenkt. Wenn es wieder herauskommt, sieht es längst nicht mehr so nach Schwein aus – glatt und glänzend, fast wie Plastik. Es wird auf einem Tisch abgelassen, wo zwei Arbeiter alle übrig gebliebenen Borsten entfernen, einer mit dem Schneidbrenner, einer mit einem Schabeisen.
Dann wird das Schwein wieder aufgehängt, und jemand – heute ist es Marios Sohn – schneidet es mit einer Kettensäge der Länge nach durch. Man erwartet ja – oder ich erwartete zumindest –, dass der Bauch aufgeschnitten wird und so weiter, aber das Gesicht halbiert zu sehen, die Nase in der Mitte gespalten, die Kopfhälften aufgeschlagen wie ein Buch, das hat mich schockiert. Befremdet hat mich auch, dass die Innereien nicht nur per Hand, sondern auch ohne Handschuhe aus dem aufgeschnittenen Schwein geholt werden: Man braucht dazu den Griff und das Feingefühl der nackten Finger.
Das finde ich nicht bloß abstoßend, weil ich ein Stadtkind bin. Auch Mario und seine Angestellten gaben zu, dass die blutigeren Aspekte der Schlachtung ihnen Schwierigkeiten machen, und ähnliche Aussagen hörte ich überall, wo ich offen mit Schlachthausarbeitern reden konnte.
Die Innereien und Organe werden zu Docs Tisch gebracht, der sie untersucht und sehr selten einmal ein Teil aufschneidet, um reinzuschauen. Dann schiebt er den ganzen Glibber vom Tisch in eine große Mülltonne. Doc müsste sich kaum verändern, um in einem Horrorfilm mitzuspielen – und zwar nicht als Opfer. Sein Kittel ist blutverschmiert, sein Blick hinter der dicken Schutzbrille entschieden
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