Tiere
ins Badezimmer zu gehen, und selbst das war schwer. Als der Arzt einmal kam, sagte er mir auf dem Weg nach draußen, dass er kurz mit mir sprechen will. Er fragte, ob sie leicht reizbar wäre. Mir gefiel es nicht, hinter demRücken meiner Mama Geschichten zu erzählen, aber da er ein Arzt war, sagte ich ja. Er nickte, als hätte er das erwartet, und sagte, es wäre nicht ihre Schuld und ich solle versuchen, darüber hinwegzusehen und nicht weiter auf sie zu achten. Er hatte gut reden, denn es war ja nicht seine Mama. Wie sollte ich sie nicht beachten, wenn sie mich ausschimpfte?
Doch das sagte ich ihm nicht. Er fragte, ob ich überhaupt wüsste, wie krank sie ist und so weiter. Da er wie alle Ärzte ganz viele Fremdworte benutzte, schaltete ich irgendwann ab. Mir war gar nicht wohl dabei. Nach einer Weile hielt er inne und fragte: «Verstehst du, was ich sage?»
Obwohl ich nicht zugehört hatte, sagte ich ja, und er schaute mich ein bisschen komisch an, seufzte dann und meinte: «Wenn du mit jemandem reden musst, ruf mich an.» Ich sagte, dass ich das tun würde, aber ich machte es nie. Ich mochte ihn nicht mehr.
Kurz darauf begann die Heilsarmee vorbeizuschauen. Ich war überrascht, als meine Mama mir sagte, dass ich sie reinlassen soll. «Ich freue mich, mal andere Gesellschaft zu haben», sagte sie, was mich ein bisschen traurig machte. Aber ich erinnerte mich daran, was der Arzt gesagt hatte, und versuchte, mich nicht daran zu stören. Die Heilsarmee störte mich ja auch nicht. Jedenfalls am Anfang nicht. Und während sie da waren, musste ich nicht die ganze Zeit für meine Mama da sein. Ich konnte Fernsehen gucken, ohne ständig aufzustehen und ihr eine Tasse Tee zu machen oder ihr ins Badezimmer zu helfen. Das fand ich immer total peinlich.
Doch bald schauten sie praktisch jeden Tag vorbei. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, waren sie schon da. Ich weiß nicht, wie sie reingekommen sind. Sie muss ihneneinen Schlüssel gegeben haben oder so. Ich hielt mich meistens fern, was nicht schwer war, weil sie immer im Zimmer meiner Mama blieben. Ich sah sie nur, wenn sie rein- oder rausgingen und wenn ich ihnen Tee und Kekse brachte. Das reichte mir auch. Sie waren immer nett, aber so wie sie redeten, hatte man das Gefühl, sie würden sich für was Besseres halten.
Meine Mama wollte, dass ich mit ihnen im Zimmer blieb, aber ich hatte keine Lust. Allerdings sagte ich nicht klipp und klar, warum, denn ich wollte weder Streit noch meine Mama erschrecken. Deshalb behauptete ich, dass ich den Abwasch machen muss oder etwas Gutes im Fernsehen läuft. Am Anfang sagte sie nicht viel dazu, aber nachdem sie ein paarmal da gewesen waren, begann sie, mich zur Rede zu stellen: «Warum kommst du nicht rein und hörst ihnen zu?», fragte sie. «Das solltest du nämlich, denn sie wissen, wovon sie sprechen.» Dann meinte sie, ich soll es für sie tun, weil sie nicht will, dass die Leute von der Heilsarmee denken, ihr Sohn wäre auch nur so ein Rabauke. Ich war ein bisschen verletzt, als sie das sagte. Schließlich war ich nie ein Rabauke gewesen. Ich wollte doch nur nicht hören, wie sie über Gott und Jesus und so reden. Aber als ich das meiner Mama sagte, wurde sie richtig böse und sagte, dass ich genauso wäre wie mein Papa.
Von da an wurde es ständig schlimmer. Sie fing immer wieder damit an, und nach einer Weile ereiferte sie sich sogar vor den Leuten von der Heilsarmee. Ich spürte, dass es ihnen peinlich war, denn sie hatten alle so ein komisches Lächeln aufgesetzt und sagten Dinge wie: «Jetzt ärgern Sie sich doch nicht», oder: «Bestimmt kommt er irgendwann ganz von allein.» Aber meine Mama hörte nicht auf.
Als sie eines Tages da waren, zog sie richtig über mich her. Sie sagte, dass ich Mädchen mit nach Hause bringen würde, was überhaupt nicht stimmte. Ich habe nie jemand anderen reingelassen als die Leute von der Heilsarmee, doch als ich versuchte, ihr das zu sagen, begann sie zu kreischen und mich anzuschreien. Es war schrecklich. Selbst den Leuten von der Heilsarmee gefiel es nicht. Der Mann hatte seinen Hut abgenommen, und da er eine Glatze hatte, konnte man sehen, dass sein Kopf ganz rot geworden war. Sie versuchten, meine Mama zu beruhigen, aber sie regte sich immer mehr auf und sagte echt schlimme Sachen, die überhaupt nicht stimmten. Zuerst war ich total traurig, aber dann erinnerte ich mich daran, dass der Arzt gesagt hatte, ich soll nicht auf sie achten. Und so dachte ich: «Okay, dann achte
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