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Tiere

Tiere

Titel: Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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erleichtert, dass es nicht die Polizei war, aber die Heilsarmee war fast genauso schlimm. Deshalb sagte ich nur: «Ja.» Ich schätze, es klang nicht besonders höflich. Aber sie schienen sich nichts daraus zu machen.
    «Entschuldige, wenn wir dich erschreckt haben», sagte die Frau. «Mit unseren Uniformen sehen wir wohl ein bisschen anders aus. Aber keine Sorge, wir sind nicht offiziell hier.» Sie lachten, als wäre das echt lustig.
    «Wir waren gerade in der Nähe, beim Gottesdienst, und dachten, wir kommen mal vorbei und schauen, wie es dir geht», sagte sie. Ich war immer noch ein bisschen durcheinander und sagte, ohne nachzudenken: «Danke.» Beide schenkten mir ein breites Lächeln, als hätte ich gerade etwas echt Gutes gesagt oder so. Sie schaute an der Fassade des Pubs hoch. Ich sah ihr an, dass sie nicht viel davon hielt.
    «Das ist also der Pub, den deine Eltern damals gekauft haben, ja?», fragte sie. Aber es war eigentlich keine Frage, und da sie die Antwort sowieso kannte, nickte ich nur.
    «Ja», meinte sie, als hätte sie gerade herausgefunden, dass sie mit irgendwas richtiggelegen hat. Sie und der Mann warfen sich einen Blick zu. Ich mochte sie nicht mehr. «Ich war überrascht, als ich hörte, dass deine Mutter einen Pub übernimmt», sagte sie. «So wie ich mich erinnere, hatte sie nie etwas fürs Trinken übrig. Jedenfalls bevor sie deinen Vater kennengelernt hat. Und wir haben den Kontakt verloren, bevor ihr hierhergezogen seid.»
    Sie klang ein bisschen hochnäsig. Dann sagte der Mann: «Hat aber schon eine ganze Weile keine Konzession mehr, würde ich sagen, oder?»
    «Stimmt», sagte ich.
    «Das dachte ich mir», meinte er. «Hier gibt es auch kaum noch Bedarf für eine Gaststätte, oder?»
    Ich hatte keine Ahnung, warum er so lange darauf herumritt. Trotzdem nickte ich.
    Er schaute sich zu den Brachflächen um: «Ich kann mich noch erinnern, als hier überall Fabriken und Geschäfte waren. Das war hier mal eine blühende kleine Gemeinde.»
    «Mit ein paar sehr schönen Geschäften», meinte die Frau und schaute mich an. «Es muss sehr einsam sein, hier ganz allein zu leben», sagte sie.
    Ich fand die Frage ein bisschen zu persönlich. Es hatte ja schließlich nichts mit ihnen zu tun, oder? Aber das konnte ich nicht sagen. Jedenfalls nicht, ohne unhöflich zu werden, und man darf zu der Heilsarmee nicht unhöflich sein. Die Leute sind wie Pfarrer. «Das macht mir nichts», sagte ich.
    Sie sah mich mitfühlend an. «Nein, natürlich nicht»,sagte sie. Ich hoffte, sie würde über etwas anderes sprechen. Oder, noch besser, einfach gehen. Dann sagte sie: «Wie lange ist es denn her, dass deine Mutter und dein Vater von dir gegangen sind?»
    «Wohin gegangen?», fragte ich.
    «Ich meine, wann hast du sie verloren?», fragte sie voller Mitgefühl. Zuerst war mir nicht klar gewesen, worüber sie redet, und als es mir dämmerte, hätte ich am liebsten die Tür zugemacht. Aber das konnte ich ja nicht.
    «An einem Mittwochabend und einem Freitagmorgen», sagte ich.
    Sie sah mich komisch an und meinte: «Nein, ich meinte, wie lange ist es her?»
    Da musste ich überlegen. Über solche Dinge denkt man normalerweise nicht gerne nach. Und solche Dinge sollte man auch nicht fragen. Jedenfalls keinen Menschen, den man nicht kennt. Sie hatten kein Recht, einfach herzukommen und die Leute traurig zu machen und ihre Nasen in fremde Angelegenheiten zu stecken. Aber so ist die Heilsarmee nun einmal. Ich rechnete nach. Es stimmte irgendwie nicht, deshalb rechnete ich nochmal nach. Es stimmte doch. «Bei meinem Papa fünf Jahre und bei meiner Mama drei», sagte ich. Es kam mir nicht lange vor. Ich spürte, wie ich bei dem Gedanken traurig wurde.
    «Und seitdem lebst du hier ganz allein?», fragte die Frau und schaute wieder am Pub hoch, als wäre er etwas echt Schreckliches. Sie wartete nicht einmal auf meine Antwort. «Du musst dich doch manchmal nach Gesellschaft sehnen», meinte sie.
    Nicht, wenn es ihre Gesellschaft wäre. «Nein», sagte ich.
    Es war mir egal, ob ich unhöflich klang. Aber der Mannlachte nur und sagte: «Hilda erträgt es nicht, wenn jemand auf sich allein gestellt ist, und will immer etwas dagegen tun. Selbst wenn die Leute allein sein wollen.» Für einen Augenblick sah die Frau ein bisschen sauer aus, aber dann lächelte sie wieder.
    «Ich wollte ja nur sagen, dass du hier nicht allein sein musst, wenn du das Bedürfnis nach Gesellschaft verspürst», sagte sie. «Unser Gemeindehaus ist

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