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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wäre Patta gewiss ein umsichtiger Mann gewesen, immer bereit, die gesellschaftliche Stellung des Angeklagten zu berücksichtigen. Im großen Ganzen, dachte Brunetti oft, waren das keine fatalen Schwächen.
    Signorina Elettra saß an ihrem Schreibtisch im Vorzimmer ihres Chefs und begrüßte Brunetti mit einem Lächeln. »Ich finde, ich sollte dem Vice-Questore Bericht erstatten«, sagte er.
    »Er wird froh über die Ablenkung sein«, sagte sie ernst. »Sein jüngerer Sohn hat eben angerufen und erzählt, dass er durchs Examen gefallen ist.«
    »Der weniger Kluge?«, fragte Brunetti, die Dummheit des Jungen nicht beim Namen nennend.
    »Ach, Commissario, wie soll ich die unterscheiden? Verlangen Sie nichts Unmögliches von mir«, erwiderte Signorina Elettra spröde und ohne eine Miene zu verziehen.
    Vor einigen Jahren war Roberto Patta mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten, allein die Stellung seines Vaters hatte ihn vor einer Festnahme bewahrt. Dann aber machte ein Autounfall zu vorgerückter Stunde, bei dem seine Verlobte ums Leben kam, seiner Karriere ein Ende; allein dem väterlichen Posten war es zu verdanken, dass er erst einen Tag nach dem Unfall auf Alkohol und Drogen getestet wurde, beides mit negativem Ergebnis. Der Tod der Freundin ging an dem Jungen nicht spurlos vorüber, denn er gab – Gerüchten zufolge, die in der Questura umgingen – Alkohol und Drogen auf und widmete seine begrenzten Fähigkeiten fortan dem Ziel, sein Studium abzuschließen und Steuerberater zu werden.
    Ein aussichtsloses Unterfangen. Brunetti wusste es; auch Patta wusste es wohl, aber der Junge meldete sich beharrlich Jahr für Jahr zu den Prüfungen an, und dass er niemals eine bestand, bestärkte ihn nur in seiner Entschlossenheit, es noch einmal zu versuchen, ohne zu bedenken, dass die Staatsexamen – sollte er durch göttlichen Beistand doch noch die Vorprüfungen schaffen – eine noch größere Hürde sein würden. Einige Polizisten, deren Sprösslinge dieselben Vorlesungen besuchten wie Roberto, erzählten fleißig von seinen hartnäckigen Bemühungen, und im Lauf der Jahre wandelte sich sein Bild in der Questura vom verzogenen Kind eines gleichgültigen Vaters zum fleißigen, wenngleich etwas beschränkten Sohn eines aufopfernden Familienoberhaupts. Das Rätselhafte daran – für Brunetti war Vaterschaft immer etwas Rätselhaftes – war Pattas Glaube an seine beiden Söhne und sein Wunsch, sie möchten es im Leben aus eigener Kraft zu etwas bringen, ein Wunsch, der angesichts des Unfalls nur noch erstarkt war.
    »Wann haben Sie mit ihm gesprochen?«, fragte Brunetti.
    »Vor einer Stunde«, antwortete sie und fuhr dann in anderem Tonfall fort: »Sein Vater führte gerade ein Gespräch auf seinem telefonino, also hat Roberto mich angerufen und gebeten, ihn durchzustellen.« Sie schürzte resigniert die Lippen. »Er hat es erzählt. Er hat geweint.«
    »Wie alt ist er jetzt?«
    »Sechsundzwanzig, glaube ich.«
    »Gott, er schafft das nie, oder?«
    Sie wies den Gedanken weit von sich. »Nicht ohne dass jemand bei der Prüfungskommission nachhilft.«
    »Und das tut er nicht?«, fragte Brunetti und zeigte mit dem Kinn auf die Tür zu Pattas Büro. »Früher hat er so was getan.«
    »Jetzt nicht mehr.«
    »Aber warum?«
    »Weiß der Himmel. Es wäre ein Leichtes. Schließlich hat er sich in den letzten zehn Jahren die richtigen Leute dafür an Land gezogen.«
    »Vielleicht wissen sie ja nicht, wessen Sohn das ist«, meinte Brunetti.
    »Kann sein«, sagte sie wenig überzeugt.
    »Also stimmt es tatsächlich?«, fragte Brunetti verwundert. Es gab bestimmt nicht viele Eltern, die nicht gegen die Spielregeln verstießen, wenn sie ihrem Kind damit helfen konnten.
    Er ging zur Tür und klopfte an.
    »Avanti!«, rief Patta, und Brunetti trat ein.
    Patta sah älter aus als am Tag zuvor. Er war immer noch ein stattlicher Mann: muskulös, breitschultrig, mit einem Gesicht, das danach schrie, in Bronze oder Marmor verewigt zu werden. Doch waren seine Wangen eingefallen wie nie zuvor, und seine Haut wirkte angespannt und fahl.
    »Guten Morgen, Vice-Questore«, sagte Brunetti und näherte sich dem Schreibtisch.
    »Was gibt es?«, fragte Patta, als sei ein Kellner an seinen Tisch gekommen und habe ihn in einem Gespräch gestört.
    »Ich wollte Ihnen von dem Mann berichten, der heute früh drüben beim Giustinian aufgefunden wurde, Signore.«
    »Der Ertrunkene?«, fragte Patta.
    »Diese Darstellung ist nicht ganz richtig, Signore«,

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