Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
ganz zu ihm herum und stützte das Kinn in die Hände. »Nicht auszumalen, was wäre, wenn alle den Tatsachen ins Auge blicken und Hunderttausende dieser Studenten nach Hause geschickt würden.« Da er schwieg, fuhr sie fort: »Sie müssten akzeptieren – und ihre Eltern müssten akzeptieren –, dass sie arbeitslos sind und es wahrscheinlich immer bleiben werden.« Sie nahm Brunettis Einwand vorweg: »Ich weiß, sie haben nie gearbeitet, also würden sie auch nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen. Aber sie müssten sich ebenso wie ihre Eltern der Tatsache stellen, dass sie praktisch nicht vermittelbar sind.« Brunetti stimmte mit einem knappen Nicken zu. »Solange sie also an der Uni eingeschrieben sind, kann die amtliche Statistik sie ignorieren, und sie selbst können ignorieren, dass sie niemals eine vernünftige Arbeit bekommen werden.« Er dachte, sie sei fertig, aber dann sagte sie noch: »Die Unis sind ein riesiges Sammelbecken für junge Leute, die jahrelang vom Geld ihrer Eltern leben und niemals etwas lernen, was ihnen zu einer Beschäftigung verhelfen könnte.«
»Zum Beispiel?«, fragte Brunetti.
Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Oh, ich weiß nicht. Klempner. Zimmermann. Irgendwas Nützliches.«
»Anstatt?«
»Der Sohn einer Freundin studiert seit sieben Jahren Kunstmanagement. Die Regierung streicht alle Jahre die Budgets der Museen zusammen, aber er wird sein Examen in Kunstmanagement ablegen.«
»Und dann?«
»Wenn er Glück hat, bekommt er einen Job als Museumswärter angeboten, aber den würde er ausschlagen, weil er ja Kunstmanager ist«, sagte sie, fügte dann aber freundlicher hinzu: »Er ist ein aufgeweckter Junge, und wie ich ihn kenne, wäre ein Museumsjob genau das Richtige für ihn. Nur dass es da keine Jobs mehr geben wird.«
Brunetti dachte an seinen Sohn, jetzt im ersten Studienjahr, und seine Tochter, die auch bald auf die Uni gehen würde. »Heißt das, meinen Kindern wird es nicht anders ergehen?«
Sie wollte etwas sagen, ließ es aber.
»Nur zu«, sagte Brunetti. »Sprechen Sie’s aus.«
Er sah, wie sie sich aufraffte. »Die Familie Ihrer Frau wird sich um sie kümmern, oder die Freunde Ihres Schwiegervaters werden ihnen Jobs besorgen.«
So etwas hätte sie vor einigen Jahren noch nicht gesagt, dachte Brunetti, und ohne seine Erwähnung Griffonis wäre sie wohl auch jetzt nicht so weit gegangen. »Also wie bei allen Kindern aus Familien, die gute Beziehungen haben?«, fragte er.
Sie nickte.
Er kannte ihre politische Einstellung und fragte daher: »Und das stört Sie nicht?«
Sie antwortete achselzuckend: »Ob mich das stört oder nicht, ändert nichts daran.«
»Hat es Ihnen geholfen, die Stelle bei der Bank zu bekommen?«, fragte er und spielte damit auf den Job an, den sie vor über zehn Jahren aufgegeben hatte, um in der Questura zu arbeiten – eine Entscheidung, die niemand, der mit ihr arbeitete, jemals verstanden hatte.
Sie hob das Kinn aus ihrer Hand und sagte: »Nein, mein Vater hat mir nicht geholfen. Er war sogar dagegen, dass ich bei einer Bank arbeite. Er hat versucht, mir das auszureden.«
»Obwohl er selbst Bankdirektor war?«, fragte Brunetti.
»Richtig. Er sagte, das habe ihm gezeigt, wie sehr es die Seele verdirbt, mit Geld zu arbeiten und immer nur an Geld denken zu müssen.«
»Aber Sie haben es trotzdem getan?« Brunetti wunderte sich über den Ernst, mit dem sie beide sprachen: Normalerweise führten sie solche persönlichen Gespräche immer mit einem ironischen Unterton und äußerten sich nicht so direkt.
»Ein paar Jahre lang, ja.«
»Bis?« Ob sie ihm jetzt das Geheimnis enthüllen würde, über das man in der Questura seit Jahren rätselte? Aber er wusste, dass er, sollte er es erfahren, keinem Menschen davon erzählen durfte.
Ein Grinsen blitzte auf wie das der Grinsekatze zwischen den Ästen eines Baums. »Bis es anfing, meine Seele zu verderben.«
»Aha«, sagte Brunetti; mehr würde er offenbar nicht zu hören bekommen, und mehr wollte er vielleicht auch gar nicht wissen.
»Gibt es sonst noch etwas, Signore?« Und ehe er antworten konnte, meinte sie: »Übrigens sind die Fotos und Videos von der Demonstration schon da.«
Brunetti konnte seine Überraschung nicht verbergen: »So schnell?«
Sie glich mit ihrem erbarmungsvollen Lächeln einer Renaissance-Madonna. »Per E-Mail geschickt, Signore. Sehen Sie in Ihrem Computer nach.« Sie richtete den Blick auf die Wand hinter ihm und sagte dann: »Ich habe einen
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