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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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aus«, sagte sie.
    Brunetti und Vianello befolgten ihre Anweisungen. Als sie ihre Schuhe wieder anhatten, gab sie ihnen zwei Paar Schuhschützer aus transparenter Folie, die sie sich über die Schuhe streiften. Als Letztes kamen transparente Kunststoffhauben, die aussahen wie die, die Paola unter der Dusche trug. Die zogen sie sich über den Kopf.
    Signorina Borelli musterte sie wortlos von oben bis unten. Die Tür gegenüber der, durch die sie gekommen waren, ging auf, und ein großer bärtiger Mann kam in den Raum. Er trug einen langen grauen Kittel, der ursprünglich einmal weiß gewesen und vorne und an den Seiten mit großen roten Flecken beschmiert war. Brunetti sah auf seine Füße und war froh, dass sie die Schuhschützer bekommen hatten.
    Der Mann, offenbar der Chefschlachter, nickte Signorina Borelli zu und sah die beiden Männer gleichgültig an. Man stellte sie einander nicht vor. Der Mann sagte: »Kommen Sie, meine Herren.« Brunetti und Vianello folgten Bianchi zu der Tür. Kaum öffnete er sie, drangen die Schreie, die schweren Schläge und das Klirren wieder auf sie ein.
    Er führte sie einen schmalen, etwa fünf Meter langen Flur hinunter zu einer weiteren Tür. Brunetti empfand das Rascheln seines Schutzanzugs und das Glitschen der Schuhschützer unter seinen Füßen als äußerst unangenehm. Er sah auf den Boden, um festzustellen, ob der ihm genug Halt bot. Dabei geriet er für einen winzigen Augenblick ins Straucheln, denn als er vor sich einen blutigen Schuhabdruck bemerkte, wich er mit dem rechten Fuß zur Seite aus, landete unbeholfen und erkannte zu spät, dass es kaum einen Unterschied machte, ob er darauf trat oder nicht; es sei denn, man wäre abergläubisch.
    Brunetti warf einen Blick nach hinten und sah Vianellos angespannte Miene; rasch wandte er sich wieder Bianchis Rücken zu. Brunetti zitterte: Der anschwellende Lärm hatte alle anderen Wahrnehmungen übertönt, erst jetzt bemerkte er die Kälte. Vianello schien vor sich hinzusummen. Lärm und Kälte nahmen zu, als sie sich der Tür näherten. Bianchi blieb davor stehen und legte eine Hand auf den Metallriegel. Einmal nach unten drücken, und sie würde aufgehen.
    Er starrte Brunetti schweigend an, dann Vianello, fragte sie mit den Augen. Plötzlich befielen Brunetti Zweifel, ob das alles richtig sei, aber Navas Frau hatte gesagt, den Tierarzt habe etwas beunruhigt, was hier vor sich gehe.
    Brunetti hob das Kinn, eine Geste, die man als Befehl oder Aufmunterung auffassen konnte. Bianchi drehte sich um, drückte den Riegel nach unten und stieß die Tür auf. Krach, Kälte und Licht ergossen sich über sie. Schreie und Heulen, Winseln und das Dröhnen vermischten sich zu einer modernen Kakophonie, die mehr als nur ihren Gehörsinn attackierte. Die meisten Geräusche sind neutral. Schritte klingen im Grunde immer gleich: Bedrohlich werden sie nur durch die Umgebung, die Situation, in der sie gehört werden. Dasselbe gilt für Wasserplätschern. Überlaufende Badewanne, idyllischer Gebirgsbach: Es kommt immer auf den Zusammenhang an. Zerstückelt man eine Symphonie, hört man nur noch seltsame, unzusammenhängende Töne. Ein Schmerzensschrei jedoch ist stets Schmerzensschrei, ob er von einem Tier mit zwei oder vier Beinen kommt, und eine im Zorn erhobene Stimme ruft immer dieselbe Reaktion hervor, unabhängig von der Sprache, in welcher der Zorn zum Ausdruck gebracht wird oder gegen wen er sich richtet.
    Die Reize, die über die anderen Sinnesorgane hereinbrachen, ließen keine hübschen Wort- oder Gedankenspiele zu: Brunettis Magen krampfte sich von dem Gestank zusammen, der ihn traf wie ein Faustschlag, und seine Augen suchten all dem Rot zu entkommen. Sein Verstand schaltete sich ein, zwang ihn, zu denken und durch Denken einen Fluchtweg aus dieser Hölle zu finden. Dunkel erinnerte er sich an etwas, das William James, ja, der Bruder des Mannes, den seine Frau so liebte, vor über hundert Jahren geschrieben hatte: Das Auge werde immer »von Dingen angezogen, die sich bewegen, von Dingen, die nach Blut riechen«.
    Brunetti hielt diese Worte wie einen Schild vor sich und spähte dahinter hervor. Sie standen zwischen Geländern auf einem schmalen Gitterrost, gut drei Meter über dem Arbeitsbereich. Er sah, ohne zu sehen, nahm wahr, ohne wahrzunehmen, konnte aber auch von dort oben erkennen, dass die Arbeit ihrem Ende zuging. Sechs oder sieben Männer in gelben Stiefeln, weißen Gummimänteln und gelben Schutzhelmen bewegten sich in den

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