Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
lächelte, aber nicht mehr ganz so strahlend. »Ich finde, Sie sollten jetzt endlich erklären, warum Sie mir alle diese Fragen stellen, Commissario. Vielleicht sehe ich ja zu viel fern, aber normalerweise kommt es zu solchen Befragungen, wenn jemand gestorben ist und die Polizei Informationen über den Toten einzuholen versucht.«
Ihr Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her. Vianello hielt den Kopf über sein Notizbuch gesenkt und überließ die Antwort seinem Vorgesetzten.
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass Dottor Nava Opfer eines Gewaltverbrechens wurde«, sagte Brunetti wie ein Bürokrat, der Informationen stets nur scheibchenweise herauszurücken gewillt ist.
Wie zur Illustration dieser Phrase drang in diesem Augenblick ein gellender Schrei durch die Schallschutzwände, die diesen Raum vor der Realität draußen abschirmen sollten. Anders als der langgezogene Schrei vorhin kam dieser jetzt in drei kurzen Stößen, ähnlich dem Signal, das auf den Vaporetti zum Verlassen des Schiffs aufforderte. Es folgten noch drei Schreie, schon gedämpft, und dann hatte das Tier das Schiff verlassen und tat keinen Mucks mehr.
»Tot?«, fragte Signorina Borelli sichtlich erschüttert.
Leicht verwirrt, worauf sich ihre Frage bezog, antwortete Brunetti mit Verzögerung: »Davon gehen wir aus, ja.«
»Was soll das heißen: Sie gehen davon aus?«, fragte sie und sah die beiden an. »Sie sind doch von der Polizei. Wenn Sie es nicht wissen, wer dann sonst?«
»Wir haben noch keine eindeutige Identifizierung«, sagte Brunetti.
»Heißt das, Sie wollen, dass ich das mache?«, fragte sie, noch immer entrüstet über Brunettis Bemerkung.
»Nein«, sagte Brunetti ruhig. »Wir haben bereits jemanden gefunden, der das übernimmt.«
Plötzlich reckte sie den Kopf wie eine angriffslustige Schlange. »Wie eiskalt Sie sind! Sie erzählen mir, er sei Opfer eines Gewaltverbrechens geworden, aber dass Sie hier sind, bedeutet, dass er tot ist, und dass Sie alle diese Fragen stellen, bedeutet, jemand hat ihn umgebracht.« Sie wischte sich die Augen und schien den Satz nur mit Mühe zu Ende zu bringen.
Vianello sah von seinem Notizbuch auf und studierte Signorina Borellis Gesicht.
Sie stützte ihre Ellenbogen auf den Schreibtisch und ließ das Kinn in ihre Hände sinken. »Da haben wir einmal einen guten Mann gefunden, und dann das«, sagte sie. Ihrer Stimme konnte Brunetti nicht entnehmen, wie er das Wort »gut« interpretieren sollte. War Nava für sie ein fähiger oder ein ehrlicher Mann?
Nach einer Weile und immer noch nicht ganz gefasst, sagte sie: »Für weitere Fragen werden Sie sich an Dottor Papetti wenden müssen.« Sie schlug mit beiden Handflächen auf den Tisch, das Geräusch schien sie zu beruhigen. »Was wollen Sie sonst noch?«
»Könnten wir uns in Ihrem Betrieb einmal umsehen?«
»Das möchten Sie bestimmt nicht«, sagte sie ohne nachzudenken.
»Wie bitte?«, fragte Brunetti.
»Sie wollen garantiert nicht sehen, was wir hier machen.« Sie sprach vollkommen ruhig und vernünftig. »Das will niemand. Glauben Sie mir.«
Nur wenige Bemerkungen hätten Brunettis Entschlossenheit, sich hier umzusehen, noch wirksamer steigern können.
»Doch. Wir wollen«, sagte er und erhob sich.
19
Vianello und Brunetti hatten sich umsonst Gedanken um die richtige Kleidung für den Besuch des Schlachthofs gemacht; sie hätten ebenso gut im Smoking erscheinen können. Da Brunetti es sich nicht ausreden ließ, Dottor Navas Arbeitsplatz persönlich in Augenschein zu nehmen, rief Signorina Borelli als Erstes den Chefschlachter Leonardo Bianchi an und bestellte ihn in die Umkleide. Dann führte sie die beiden durch einen kahlen Flur und zwei Treppen hinauf in einen spartanisch eingerichteten Raum, der Brunetti an ähnliche Räume in Filmen erinnerte, die in amerikanischen Highschools spielten: Metallspinde an den Wänden, in der Mitte ein Tisch voller Kratzer und Flecken von Zigaretten und verschütteten Flüssigkeiten; Bänke, auf denen zerknitterte Ausgaben von La Gazzetta dello Sport, schmutzige Socken und leere Pappbecher lagen.
Vor einem Spind blieb sie stehen, zog schweigend ein Schlüsselbund aus der Tasche und öffnete das Vorhängeschloss mit einem kleinen Schlüssel. Sie nahm einen zusammengelegten weißen Papieroverall heraus, wie die Leute von der Spurensicherung sie tragen, faltete ihn auseinander und reichte ihn Brunetti; einen zweiten gab sie Vianello. »Ziehen Sie, um hineinzuschlüpfen, die Schuhe
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