Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
kurbelten Brunetti und Vianello die Fenster runter und lehnten sich zurück, um die frische Luft hineinströmen zu lassen. Der Fahrer war so feinfühlig, nichts zu sagen und nur per Funk bei der Questura ein Boot zu bestellen, das für die beiden Männer am Piazzale Roma bereitstehen sollte.
Auf dem Weg zur Stadt fuhren sie durch eine stille Landschaft, die sich anschickte, die Pracht des Sommers zu entfalten. Die Bäume begannen auszuschlagen, um sich mit wunderbarem grünem Laub zu schmücken. Brunetti war dankbar für dieses Zeichen: Die Farbe der Hoffnung. Vögel, die er kannte, aber nicht benennen konnte, hockten zwischen den grünen Trieben und plauderten über ihre Rückkehr in den Norden.
Die Villen fielen ihnen diesmal nicht weiter auf, nur all die Autos, die ihnen entgegenkamen oder sie überholten, um vor ihnen wieder einzuscheren. Sie sprachen nicht: weder miteinander noch mit dem Fahrer. Sie ließen Zeit verstreichen, denn nur so konnte die Erinnerung an das, was sie erlebt hatten, ein wenig verblassen. Brunetti sah zum Fenster hinaus. Wie schön das ist, dachte er; wie schön, wenn etwas wächst: Bäume, Rebstöcke, die aus dem Winterschlaf erwachen, ja selbst das Wasser im Straßengraben würde seinen Teil dazu beitragen, dass die Pflanzen aufblühten.
Unablässig kamen ihnen Autos entgegen, und Brunetti schloss die Augen. Es schien ihm, als seien nur Sekunden vergangen, als der Fahrer bremste und sagte: »Da sind wir, Commissario.« Brunetti schlug die Augen auf, sah den ACTV -Ticketschalter, Wasser dahinter und den embarcadero der Nummer zwei.
Vianello machte Anstalten auszusteigen, Brunetti dankte dem Fahrer und schlug sachte die Tür zu. Er freute sich, dass auch Vianello noch ein Wort mit dem Fahrer wechselte. Zum Abschied tätschelte der Ispettore mit einem Lächeln das Autodach und wandte sich dann dem Wasser zu.
Sie gingen die flachen Stufen hinunter nach links, wo Foas Kollege, nach ihnen Ausschau haltend, mit dem Fahrer eines Wassertaxis sprach. Brunetti staunte, dass der junge Mann noch genauso aussah wie einige Stunden zuvor. Der Bootsführer tippte sich an die Mütze, eine Geste, die man ebenso als freundliche Begrüßung wie als Salut deuten konnte: Brunetti hoffte, es sei ein Gruß.
Der Bootsführer wollte ihm den Gazzettino reichen, der gefaltet hinterm Steuer klemmte, aber Brunetti sehnte sich nach Weite, nach Farben und Schönheit und Leben, nicht nach schwarzen Zeitungszeilen. Er lehnte dankend ab, worauf der Bootsführer den Motor anließ.
»Fahren Sie nicht hinter dem Bahnhof durch, lieber durch den Canal Grande.« So würde die Fahrt zwar länger dauern, aber dafür bliebe ihnen die Kehre direkt am Fahrdamm erspart, wo sie die Schornsteine von Marghera sehen würden; außerdem mussten sie dann nicht zwischen dem Ospedale Civile und der Friedhofsinsel San Michele hindurch. Brunetti und Vianello sagten kein Wort, blieben aber beide an Deck in der Sonne. Die wärmte ihnen den Kopf und ließ sie in ihren Jacken schwitzen. Brunetti klebte das feuchte Hemd am Rücken, Schweißtropfen kitzelten ihn an den Schläfen. Er hatte seine Sonnenbrille vergessen und spähte, eine Hand schützend über den Augen, wie ein Kapitän in einem Seefahrerroman in die Ferne. Und erblickte kein Tropenatoll mit unberührten Stränden und auch nicht die stürmischen Gewässer am Kap der Guten Hoffnung, sondern die Calatrava-Brücke, die in ihrem eingerüsteten Bauzustand wie in Windeln gewickelt erschien und über deren Geländer sich kurzärmelige Touristen beugten, um ein Foto von der Polizeibarkasse zu machen. Er winkte lächelnd zu ihnen hoch.
Keiner der drei Männer sagte etwas, während sie unter der Brücke durchfuhren, und sie schwiegen auch, als sie unter der nächsten und unter allen weiteren Brücken hindurch und an der Basilika und an San Giorgio zu ihrer Rechten vorbeifuhren. Wie fühlte es sich an, versuchte Brunetti sich vorzustellen, wenn man das alles zum ersten Mal erblickte? Mit jungfräulichen Augen? All diese Schönheit war das Gegenteil von dem, was sich ihnen in Preganziol dargeboten hatte, und doch: Beides war überwältigend, beides raubte dem Betrachter auf seine Weise die Sprache.
Der Bootsführer lenkte die Barkasse an den Anleger vor der Questura, sprang mit dem Tau in der Hand an Land und schlang es um den Poller. Als Brunetti von Bord ging, wollte der Mann ihm etwas sagen, musste aber wieder ins Boot, weil der Motor plötzlich seltsame Geräusche machte. Bis er den
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