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Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)

Titel: Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Motor ausgestellt hatte, waren Brunetti und Vianello schon im Gebäude verschwunden.
    Brunetti wusste nicht, was er mit Vianello reden sollte: Er konnte sich nicht erinnern, jemals so sprachlos gewesen zu sein, als sei ihr gemeinsames Erlebnis so intensiv gewesen, dass es jeglichen Kommentar, ja beinahe jegliches weitere Gespräch überflüssig machte. Aus dieser Verlegenheit half ihm der Wachmann an der Tür: »Commissario, der Vice-Questore möchte Sie sehen.«
    Die Vorstellung, mit Patta reden zu müssen, war geradezu Balsam für die Seele: Die Unerfreulichkeit dieser Begegnung würde Brunetti unweigerlich auf den Boden zurückholen. Er sah Vianello an und sagte: »Ich rede mit ihm, dann hole ich dich ab, und wir gehen was trinken.« Erst wieder Boden unter den Füßen, dann die Freuden des Alltags.
    Da Signorina Elettra nicht an ihrem Schreibtisch saß, musste Brunetti bei Patta anklopfen, ohne sich zuvor über Ausmaß oder Grund der Verärgerung seines Vorgesetzten informieren zu können. Dass der Vice-Questore verärgert war, stand fest: Nichts anderes als äußerster Verdruss konnte ihn dazu bewegen, die Anweisung nach unten ergehen zu lassen, Brunetti solle sich sofort bei ihm melden, wenn er ins Haus komme. Vorher atmete Brunetti wie ein Turner, der zum Sprung an die Ringe ansetzt, ein paarmal tief durch und konzentrierte sich ganz auf seinen Auftritt.
    Er klopfte möglichst mannhaft an: drei knappe Schläge zur Verkündung seiner Ankunft. Von drinnen scholl ihm ein Ruf entgegen, den er als Bitte interpretierte, er möge eintreten. Patta hatte sich als Landjunker kostümiert. Diesmal war sein Vorgesetzter in seinem Streben nach Eleganz endgültig zu weit gegangen, trug er doch heute tatsächlich einen echten Jagdrock. Hellbrauner Tweed, lang und schmal geschnitten, mit dem unerlässlichen braunen Wildlederflicken an der rechten Schulter und einer einzelnen Tasche gegenüber an der linken; darunter leicht aufknöpfbare Umschlagtaschen für den Patronennachschub. Das weiße Hemd, das Patta dazu trug, war dezent kariert, und seine grüne Seidenkrawatte war mit winzigen gelben Schafen verziert, die Brunetti an die Lämmer auf dem Mosaik in Ravenna erinnerten, gleich hinter dem Hauptaltar der Basilica di Sant’Apollinare in Classe.
    Wie der ungläubige Thomas an die Auferstehung seines Herrn erst glauben konnte, nachdem er die Wundmale Jesu berührt hatte, so empfand Brunetti das dringende Bedürfnis, seine Wange an den braunen Wildlederflicken auf Pattas Schulter zu lehnen, schien ihm doch dieses bizarre Accessoire der beste Beweis, dass die Dinge unverändert ihren Gang nahmen. Noch immer erschüttert von den Erlebnissen im Schlachthof, brauchte Brunettis Seele einen Anhaltspunkt, dass die normale Welt, ja das Leben überhaupt, noch existierte – und was wäre ein offenkundigerer Beweis als dieser absurde Flicken? Oder Patta am Telefon: Wie er leibte und lebte. Endlich nahm der Vice-Questore Notiz von seinem Besucher, sagte noch etwas und legte auf.
    Brunetti widerstand der Versuchung, sich zu bücken und unter dem Schreibtisch nachzusehen, ob der Vice-Questore womöglich auch noch trug, was Brunetti aus englischen Romanen als »derbes Schuhwerk« kannte. Ebenso verkniff er es sich, seinem Vorgesetzten dafür zu danken, dass er ihn ins Leben zurückgeholt hatte. Stattdessen sagte er: »Di Oliva sagt, Sie wollen mich sprechen, Signore.«
    Patta hielt den Gazzettino hoch, die aktuelle Ausgabe, die Brunetti auf dem Boot nicht hatte lesen wollen. »Haben Sie das gesehen?«, fragte er.
    »Nein, Signore«, erwiderte Brunetti. »Diese Woche gibt mir meine Frau nur den Osservatore Romano zu lesen.« Er wollte noch hinzufügen, dies sei die einzige Zeitung, die ihn täglich über die Termine des Heiligen Vaters unterrichte, ähnlich wie die Times ihre Leser über die Aktivitäten der Königsfamilie auf dem Laufenden halte, war sich aber – da er die Zeitung seit Jahrzehnten nicht mehr in die Hand genommen hatte – nicht sicher, ob das stimmte; im Übrigen gebot ihm seine Dankbarkeit, Patta nicht noch weiter zu reizen. Er begnügte sich daher mit dem Achselzucken des echten Schwächlings und streckte die Hand nach der Zeitung aus.
    Zu seiner Überraschung reichte Patta sie ihm bereitwillig und sagte: »Setzen Sie sich und lesen Sie. Seite fünf. Dann sagen Sie mir, von wem das Motiv stammt.«
    Eilfertig nahm Brunetti Platz, schlug die Zeitung auf und fand die Schlagzeile: »Unbekannter im Kanal als Tierarzt

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