Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
sich geht?«
»Ja.«
»Deswegen muss ich da hin.«
Er trank den Kaffee aus und stellte die leere Tasse auf den Nachttisch. »Erzähl«, sagte er, plötzlich hellwach.
»Ich muss da hin, damit ich gegen jemanden, der für eine Professur vorgesehen ist, mit Nein stimmen kann.«
Daraus wurde Brunetti nicht schlau. »Ich verstehe nicht, was an deinem Votum kriminell sein soll.«
»Nicht an meinem Votum. Sondern an der Person, über die wir abstimmen.«
»Und?«
»Allerdings nicht in diesem Land. Man hat ihn in Frankreich und Deutschland erwischt; da hat er Bücher – und Landkarten – aus Universitätsbibliotheken gestohlen. Aber dank seiner guten Verbindungen hat man auf eine Anklage verzichtet. Nur seinen Lehrstuhl in Berlin hat man ihm entzogen.«
»Und jetzt hat er sich hier beworben?«
»Er unterrichtet schon, aber nur als Assistent, und sein Vertrag läuft dieses Jahr aus. Er hat sich für eine feste Stelle beworben, und heute entscheidet die Berufungskommission darüber, ob wir ihn nehmen, das heißt seinen Zeitvertrag verlängern.«
»Ich nehme an, er unterrichtet Literaturwissenschaft?«
»Ja, sein Fachgebiet nennt sich ›semiotische Ethik‹.«
»Und Diebstahl gehört auch zum Lehrstoff?«
»Anzunehmen.«
»Und du wirst gegen ihn stimmen?«
»Ja. Und ich habe zwei Ausschussmitglieder auf meiner Seite. Das sollte genügen.«
»Du sagst, er hat gute Verbindungen«, meinte Brunetti. »Macht dir das nicht Angst?«
Ihr Grinsen verhieß nichts Gutes. »Von wegen. Mein Vater hat viel bessere Beziehungen als dieser Mann und seine Gönner; der kann mir gar nichts.«
»Und die anderen, die mit dir stimmen?« Ihn beunruhigte, dass ihr Kreuzzug womöglich andere in Gefahr bringen könnte.
»Eine von denen ist die Geliebte seines Vaters, der ihn nicht ausstehen kann. Das heißt, er ist machtlos gegen sie.«
»Und der andere?«
»Vier seiner Vorfahren waren Dogen, er besitzt zwei palazzi am Canal Grande und eine Supermarktkette.«
Brunetti wusste sofort, von wem sie sprach. »Aber du sagst doch immer, der sei ein Idiot.«
»Ich sage, er ist ein miserabler Lehrer. Das ist nicht dasselbe.«
»Bist du sicher, dass er in deinem Sinn stimmen wird?«
»Ich habe ihm von den Buchdiebstählen erzählt. Ich glaube nicht, dass er sich von dem Schock schon erholt hat.«
»Stiehlt er immer noch Bücher?«
»Eine Zeitlang hat er’s noch getan, aber ich habe ihm das Handwerk gelegt.«
»Wie?«
»Die Bibliothek hat ihre Regeln verschärft. Jeder unterhalb vom ordentlichen Professor braucht künftig einen Ausweis, um ins Magazin zu gelangen. Er hat keinen festen Vertrag, also hat er keinen Ausweis und wird auch keinen bekommen. Wenn er ein Buch benutzen will, muss er am Hauptschalter nachfragen, und wenn er es zurückgibt, muss er warten, bis man den Zustand des Buchs überprüft hat.«
»Den Zustand?«
»In der Münchner Bibliothek hat er einzelne Seiten herausgeschnitten.«
»Und dieser Mann lehrt an der Universität? Ethik?«
»Nicht mehr lange, mein Lieber«, sagte sie und stand auf.
Um elf kam Brunetti in die Questura geschlendert – anders kann man das nicht sagen – und ging direkt in Signorina Elettras Büro. »Ah, Commissario«, sagte sie, »ich habe Sie heute Morgen schon zweimal angerufen.«
»Von amtlichen Geschäften aufgehalten«, antwortete er lächelnd.
»Ich habe da was für Sie, Signore«, sagte sie und schob ihm über den Schreibtisch ein paar Ausdrucke hin. Bevor er die nehmen konnte, meinte sie: »Aber zuerst sollten Sie sich das hier ansehen«, und hantierte an ihrer Tastatur.
Er kam um den Schreibtisch herum und erblickte auf dem Bildschirm das Porträt einer Frau: dunkler, sinnlicher Typ; ihr Haar so lang, dass es ihr über die Schultern fiel und über den unteren Bildrand hinausreichte. Ihr leises Schmollen war von der Art, die, jedenfalls angesichts einer so hübschen Frau wie dieser, bei Männern den Wunsch auslöst, sie aufzuheitern. Bei einer weniger attraktiven Frau war es hingegen ein Warnzeichen. Brunetti erkannte Giulia Borelli sofort: längeres Haar, jünger, aber unverwechselbar.
Er stöhnte leise auf und hörte Signorina Elettra sagen: »Das Foto ist schon ein paar Jahre alt.«
»Was haben Sie herausgefunden?«
»Wie Sie sagten, Signore, war sie bei Tekknomed angestellt, in der Buchhaltung, ehe sie Dottor Papettis Assistentin wurde. Das Foto stammt aus ihrem Firmenausweis. Papetti werde ich mir heute Nachmittag vornehmen.« Brunetti glaubte ihr aufs Wort.
Sie
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