Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
holte eine andere Datei auf den Bildschirm. Soweit er erkennen konnte, handelte es sich um eine Reihe Tekknomed-interner Dokumente, als Erstes eine Mail vom Leiter der Buchhaltung, in der von »gewissen Unregelmäßigkeiten« in den von Signorina Giulia Borelli geführten Konten die Rede war. Dann eine Korrespondenz zwischen dem Abteilungsleiter und dem Direktor des Unternehmens, die mit der Weisung endete, Signorina Borelli sei unverzüglich all ihrer Pflichten zu entbinden und dürfe ab sofort nicht mehr an ihren Computer. Als Letztes ein Brief an sie von der Personalabteilung: Ihr Vertrag sei mit sofortiger Wirkung gekündigt.
»Gerichtlich ist man nicht gegen sie vorgegangen«, sagte Signorina Elettra. »Daher weiß ich nicht, was sie sich hat zuschulden kommen lassen.« Sie holte eine Tabelle auf den Bildschirm. »Wie Sie sehen«, sagte sie, »beträgt der Jahresumsatz der Firma siebzehn Millionen.«
»Da eröffnen sich viele Möglichkeiten«, bemerkte Brunetti. »Sonst noch etwas?«
Sie wies auf die Papiere. »Laut ihrem Arbeitsvertrag beim macello hat sie einen Firmenwagen, sechs Wochen Urlaub, ein Gehalt von vierzigtausend Euro und ein sehr großzügiges Spesenkonto.«
»Als Assistentin?«, staunte er. »Was mag dann erst Papetti verdienen?«
Sie hob die Hand. »Dazu komme ich erst heute Nachmittag, Commissario.«
»Gut«, sagte Brunetti und fasste einen Entschluss. »Vianello und ich werden noch einmal mit der Witwe sprechen. Können Sie uns einen Wagen zum Piazzale Roma bestellen, in einer halben Stunde?«
»Natürlich, Signore. Soll ich ihr Bescheid sagen, dass Sie kommen?«
»Ja, ich denke, wir sollten nicht unangemeldet bei ihr auftauchen«, sagte er und ging Vianello holen.
Die Frau, die ihnen die Tür öffnete, hätte die ältere Schwester der Frau sein können, mit der sie zuvor gesprochen hatten. Ihre Mundwinkel hingen herab, ihre Augen hatten dunkle Ringe, und sie bewegte sich so unsicher wie eine Greisin oder jemand, der Beruhigungsmittel genommen hat. Signora Doni grüßte die beiden Männer mit einem Nicken. Erst mit Verzögerung reichte sie ihnen die Hand. Und danach brauchte sie lange, um sie ins Haus zu bitten. Brunetti fiel auf, wie verstaubt ihre Brillengläser waren.
Sie folgten ihr ins Wohnzimmer. Der Couchtisch war mit Zeitungen bedeckt, von denen ihnen Schlagzeilen über den Mord an ihrem Mann ins Auge sprangen. Auf den Zeitungen standen Kaffeetassen, manche leer, manche halbvoll. Auf der Sofalehne lag ein Küchentuch, daneben ein Teller mit einem vertrockneten Sandwich.
Sie nahm auf dem Sofa Platz und griff zerstreut nach dem Geschirrtuch, das sie auf ihrem Schoß ausbreitete und akkurat zu falten begann. Die Männer setzten sich ihr gegenüber, ohne dass sie ihnen Beachtung schenkte.
Schließlich sagte sie: »Kommen Sie wegen der Beerdigung?«
»Nein, Signora«, antwortete Brunetti.
Mehr fiel ihr anscheinend nicht ein.
»Wie geht es Ihrem Sohn, Signora?«, fragte Brunetti schließlich.
Jetzt blickte sie auf und verzog die Lippen zu etwas, das sie für ein Lächeln halten mochte. »Ich habe ihn zu meiner Schwester gebracht, zu seinen Cousins.«
»Wie hat er die schlimme Nachricht aufgenommen?«, fragte Brunetti und verdrängte den Gedanken, dass irgendjemand eines Tages Paola dieselbe Frage stellen könnte. Die erwähnte Schwester hatte übrigens Signora Donis Alibi für die Mordnacht bestätigt.
Sie fuchtelte mit dem Geschirrtuch herum , ließ es in den Schoß sinken und begann es von neuem zu falten. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Ich habe ihm erzählt, sein Vater sei zu Jesus gegangen. Ich selbst glaube nicht daran, aber etwas anderes ist mir einfach nicht eingefallen.« Sie strich die Kanten glatt. »Ich denke, das hilft ihm. Auch wenn ich nicht weiß, was in ihm vorgeht.« Sie wandte sich abrupt ab und legte das Tuch auf die Armlehne.
»Aber Sie sind doch nicht etwa wegen Teodoro gekommen?«, fragte sie hörbar verwirrt.
»Unter anderem, Signora. Er ist ein netter Junge, und ich habe in den letzten Tagen viel an ihn gedacht.« Wenigstens das, gelobt sei der Herr, war die Wahrheit. »Vor allem aber haben wir noch einige Fragen zu Ihrem Mann, etwa zu seinem Verhalten in den vergangenen Monaten«, sagte er, froh, dass es ihm gelungen war, nicht »in den Monaten vor seinem Tod« zu sagen, was letztlich auf dasselbe hinauslief.
Auch die folgende Pause war länger, als man zwischen Frage und Antwort erwarten konnte. »Wie meinen Sie das?«
»Als
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