Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
hin. »Gezeitenwechsel war um drei Uhr siebenundzwanzig, und gefunden hat man ihn um sechs. Wenn also Dottor Rizzardis Annahme stimmt und er etwa sechs Stunden im Wasser gelegen hat, dürfte er nicht weit von der Stelle, wo man ihn reingeworfen hat, wieder gelandet sein. Es sei denn, er blieb irgendwo hängen.« Er kam möglichen Einwänden zuvor: »Vorausgesetzt, er ist denselben Weg zurückgetrieben, den er gekommen ist, wovon ich ausgehe.«
»Und während des Stauwassers?«, fragte Brunetti.
»Das dauert bei Nipptide am längsten, Signore, das Wasser muss relativ lange unbewegt gewesen sein«, antwortete Foa. Der Bootsführer tippte auf die Karte. »Hier hat man ihn gefunden.« Dann bewegte er den Finger den Rio del Malpaga hinauf und hinunter. »Ich vermute, dass man ihn in der Nähe dieser Stelle reingeworfen hat.« Foa hob die Achseln. »Es sei denn, er ist irgendwo hängengeblieben, wie gesagt: an einer Brücke, einem Tau, einem Pfahl. Aber sonst würde ich sagen, er ist keine hundert Meter vom Fundort ins Wasser gekommen.«
Vianello und Brunetti tauschten über den gebückten Kopf des Bootsführers einen Blick aus. Hundert Meter, dachte Brunetti. Wie viele Wassertüren mochte es auf dieser Strecke geben? Wie viele calli endeten als Sackgasse an diesem Rio? Wie viele dunkle Winkel gab es dort, wo ein Boot anhalten und sich seiner Fracht entledigen konnte?
»Sie haben doch eine Freundin, Foa, oder?«
»Eine Verlobte, Signore«, antwortete Foa prompt.
Brunetti hörte Vianello förmlich mit den Zähnen knirschen, als der sich die Bemerkung verkniff, das eine schließe das andere nicht aus. »Gut. Und Sie haben ein eigenes Boot?«
»Ja, Signore, ein sandolo. «
»Mit Motor?«
»Ja, Signore«, stammelte Foa zunehmend verwirrt.
»Gut. Dann möchte ich, dass Sie beide den Rio del Malpaga abfahren und Fotos von allen Wassertüren dort machen.« Er zeigte die Stelle auf der Karte. »Und dann steigen Sie aus und gehen zu Fuß – auf beiden Seiten des Rio – an den Häusern entlang, notieren die Nummern der Häuser mit Wassertüren und geben die Liste Signorina Elettra.«
»Soll ich auch gleich die Namen von den Klingelschildern abschreiben, Signore?«
Brunetti registrierte Foas Eifer mit Wohlgefallen, fand aber, so eine Aktion wäre zu auffällig. »Nein. Nur die Nummern der Häuser mit Wassertüren. In Ordnung?«
»Wann, Signore?«
»So bald wie möglich«, sagte Brunetti, sah sich um und fügte hinzu: »Geht es noch heute Nachmittag?«
Foa konnte seine Freude darüber, beinahe wie ein Polizist eingesetzt zu werden, kaum verhehlen. »Ich ruf sie gleich an und sag ihr, sie soll sich freinehmen.«
»Sie bekommen ebenfalls frei, Foa. Sagen Sie Battisti, Sie haben einen Sonderauftrag.«
»Jawohl, Signore«, sagte der Bootsführer und salutierte zackig.
Brunetti und Vianello wandten sich ab und gingen in die Questura. An der Treppe blieb Vianello stehen wie ein Pferd vor einem Hindernis. Er konnte seine Gefühle nicht mehr für sich behalten. »Ich muss ständig an gestern denken«, sagte er mit verlegenem Lächeln. »Dabei haben wir schon Schlimmeres gesehen. Wo es um Menschen ging.« Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Aber irgendwie möchte ich heute nicht mehr da rein.«
Vianellos Eingeständnis ging Brunetti nahe. Am liebsten hätte er seinem Freund einen Arm um die Schulter gelegt, tätschelte ihm aber nur den Oberarm. »Du hast recht.« Auch er hatte den Schock des gestrigen Besuchs im Schlachthof noch nicht verdaut. Es hatte ihn viel Kraft gekostet, seinen Abscheu vor Meucci nicht allzu deutlich zu zeigen, und jetzt sehnte er sich nur noch in seine Wohnung und nach der tröstlichen Gesellschaft der Menschen, die er liebte.
Er wiederholte: »Du hast recht«, und fuhr dann fort: »Morgen besprechen wir alles und fangen noch einmal von vorne an.« Als Rechtfertigung für einen so frühen Feierabend mochte das kaum reichen, aber das war Brunetti egal, so sehr hatte ihn Vianellos drängendes Bedürfnis, nach Hause zu gehen, angesteckt. Er konnte sich sagen, er bilde sich den anhaltenden Geruch nur ein, aber ganz überzeugt war er nicht. Er konnte sich sagen, was er in Preganziol gesehen habe, sei völlig normal, aber das änderte nichts.
Eine Stunde später stand Brunetti nach der zweiten Dusche dieses Tages mit geröteter Haut und einem Handtuch um die Hüften vor einem Spiegel, der ihn nicht zeigte, oder falls doch, so nur als nebliges Abbild, das auf der beschlagenen Fläche nur
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