Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
entführt, die ihn für ihre Zwecke dressieren wollen. Sie richten ihn ab, sich mit Leuten anzufreunden, die im Wald spazieren gehen. Wenn die Leute diesen großen freundlichen Hund neben sich herlaufen sehen, fühlen sie sich sicher und wandern immer tiefer in den Wald hinein. Die Räuber schärfen ihm ein, dass er an einer bestimmten Stelle plötzlich davonrennen soll; dort können sie die Leute dann überfallen und ausrauben.
Aber auch wenn er ein Feigling ist, ist er doch ein Hund und kann nicht zulassen, dass seinen Begleitern etwas zustößt. Als die Räuber ihn schließlich auf einen Raubzug mitnehmen, benimmt der Hund sich, obwohl sie ihn abzurichten versucht hatten, wie ein richtiger Hund: Er wendet sich gegen die Räuber und bellt und knurrt sie an – einen beißt er sogar, aber nicht sehr fest –, bis die Polizei kommt und sie verhaftet. Und der Mann, den sie ausrauben wollten, bringt den Hund zu seinen früheren Besitzern zurück und erzählt ihnen, was für ein guter Hund er ist. Sie nehmen ihn wieder bei sich auf und haben ihn lieb, auch wenn er immer noch kein wirklich sehr mutiger Hund ist.«
»Wieso fällt Ihnen diese Geschichte jetzt ein?«, fragte Vianello freundlich, als er begriff, dass sie fertig war.
»Weil Andrea danach zu Teo gesagt hat, er solle sich die Geschichte gut merken und niemals zulassen, dass jemand anderen Leuten Schlechtes zufügt, denn dies sei das Schlimmste überhaupt.« Sie holte tief Luft. »Aber als ich dann ins Zimmer kam, hat er nichts mehr gesagt.«
Sie versuchte über sich selbst zu lachen, musste aber wieder husten. »Ich erwähne das, weil er so ernst schien, als er die Geschichte erzählte. Teo sollte sich das merken: Man darf nicht zulassen, dass Menschen Schlechtes zugefügt wird, auch wenn die Räuber einem drohen.«
Nun erlag sie der Versuchung und griff nach dem Geschirrtuch. Aber sie faltete es nicht mehr, sondern verdrillte es mit aller Kraft.
Brunetti hätte sich gern noch nach Signora Borelli erkundigt, wusste aber, dass er nicht weit kommen würde. Er stand auf und bedankte sich. Als Signora Doni anbot, die beiden zur Tür zu bringen, lehnte er ab. Sie gingen und ließen sie mit ihren Erinnerungen allein.
26
»Was hältst du von ihr?«, fragte Brunetti, während sie auf das am Bordstein wartende Zivilfahrzeug zugingen.
»Ich denke, sie wird sich das nie verzeihen, oder falls doch, wird sie noch lange dazu brauchen.«
»Was verzeihen?«
»Dass sie ihm nicht zugehört hat.«
»Nicht, dass sie ihn rausgeschmissen hat?«
Vianello zuckte die Achseln. »Das hat er verdient, für eine Frau wie die. Aber ihn nicht anzuhören, als er sie darum gebeten hat: Das wird sie quälen.«
»Mir scheint, es quält sie jetzt schon«, meinte Brunetti.
»Ja. Und was sie sonst noch gesagt hat?«
Die beiden stiegen hinten ein, und Brunetti bat den Fahrer, sie zum Piazzale Roma zurückzubringen. Während sich das Auto in Gang setzte, fragte er: »Du meinst seine Behauptung, der neue Job habe alles kaputtgemacht?«
»Ja«, sagte Vianello. »Ich denke, die Borelli spielt eine entscheidende Rolle.«
»Möglich«, sagte Brunetti, dem das Gespräch mit Navas Witwe nachging.
»Was denn noch?«
»Vieles kann einen im Job kaputtmachen. Man hasst seinen Chef oder die Kollegen. Oder sie hassen einen. Oder man hasst die Arbeit«, meinte Brunetti. »Aber das alles ergibt keinen Sinn, wenn man die Geschichte dazunimmt, die er seinem Sohn erzählt hat.«
»Und wenn es einfach nur ein Märchen war?«
»Würdest du deinen Kindern so ein Märchen erzählen?«, fragte Brunetti.
Vianello dachte erst nach, bevor er antwortete: »Wahrscheinlich nicht. Ich hab’s nicht so mit Geschichten, aus denen man was lernen soll.«
»Die meisten Kinder auch nicht«, fügte Brunetti hinzu.
Vianello kicherte. »Meine hören am liebsten die, wo am Ende die braven Mädchen vom Löwen gefressen werden und die bösen Kinder den ganzen Schokoladenkuchen allein aufessen dürfen.«
»Das war bei meinen auch so«, sagte Brunetti. Dann kam er auf das ursprüngliche Thema zurück: »Also, warum hat er ihm so eine Geschichte erzählt?«
»Vielleicht weil er wusste, dass seine Frau zuhörte?«
»Möglich«, sagte Brunetti.
»Und das heißt?«
»Das heißt, dass er ihr damit etwas sagen wollte.«
»Ohne es ihr direkt zu sagen.«
Brunetti seufzte. »Wie oft haben wir alle das nicht schon getan?«
»Und was wollte er ihr sagen?«
»Dass man von ihm verlangt, Menschen etwas Schlechtes anzutun,
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