Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
und dass er das für unrecht hält und es eigentlich nicht tun will.«
»Menschen, nicht Tieren?«, fragte Vianello.
»So hat er es selbst gesagt. Hätte er über Tiere reden wollen, hätte er ein Märchen von einem Tier erzählt, das anderen Tieren Schaden zufügen soll. Kinder nehmen alles wörtlich.«
»Meinst du, die nehmen sich das zu Herzen, wenn man ihnen sagt, sie sollen anderen keinen Schaden zufügen?«, fragte Vianello nicht sonderlich überzeugt.
»Nur wenn sie der Person vertrauen, die ihnen das sagt«, erwiderte Brunetti.
»Aber wie kann ein Tierarzt Menschen schaden – es sei denn, er schadet ihren Tieren?«
»Es war die Arbeit im macello, die ihm zu schaffen gemacht hat«, beharrte Brunetti.
»Du hast die Schlachter gesehen. Denen kann keiner etwas anhaben.«
Dabei beließen sie es vorerst. Als sie die Hochstraße von Mestre zur Brücke hinunterfuhren, erschienen rechts vor ihnen die gigantischen Fabriken, aus deren Schloten weiß der Himmel was für Abgase quollen, die alle Menschen hier in sich aufnehmen mussten.
Plötzlich hatte Brunetti eine Idee. »Das Fleisch. Zum menschlichen Verzehr bestimmt.«
»Was?«, fragte Vianello, der in den Anblick des gigantischen Digitalthermometers am Gazzettino -Gebäude versunken gewesen war.
»Zum menschlichen Verzehr bestimmt«, wiederholte Brunetti. »Seine Aufgaben im macello waren: die Tiere inspizieren, die dort angeliefert werden, und das Fleisch kontrollieren, das aus ihnen gemacht wird. Er hatte zu entscheiden, was als Nahrungsmittel verkauft werden konnte – was für den menschlichen Verzehr geeignet war.« Er dachte an die Geschichte, die Nava seinem Sohn erzählt hatte. »Seine Aufgabe war, dafür zu sorgen, dass Menschen nichts Schlechtes zugefügt wird.«
Und da Vianello schwieg, erklärte Brunetti noch: »Dass sie kein schlechtes Fleisch zu essen bekommen.« Als Vianello auch hierzu nichts bemerkte, fragte Brunetti: »Wie viel wiegt eine Kuh?«
Vianello sagte immer noch nichts.
Jetzt meldete sich der Fahrer: »Mein Schwager ist Bauer, Commissario. Eine gute Kuh wiegt bis zu siebenhundert Kilo.«
»Wie viel davon lässt sich als Fleisch verkaufen?«
»Genau weiß ich das nicht, Commissario, aber schätzungsweise die Hälfte.«
»Überleg mal, Lorenzo«, sagte Brunetti. »Wenn er bestimmte Tiere nicht angenommen oder zurückgewiesen hat, hat das für den Bauern einen gewaltigen Verlust bedeutet.«
Da Vianello weiterhin schwieg, fragte Brunetti den Fahrer: »Wie viel bekommt der Bauer für ein Kilo?«
»Das kann ich nicht genau sagen, Commissario. Mein Schwager rechnet für eine Kuh mit fünfzehnhundert Euro. Vielleicht etwas mehr, aber davon geht er immer aus.«
Vianello schien sich immer noch nicht für Brunettis Idee begeistern zu können, weshalb Brunetti leicht verärgert sagte: »Immerhin ist das der erste Hinweis auf ein Motiv für den Mord.«
Erst als sie über den Damm fuhren und die Stadt in Sicht kam, gestattete Vianello sich die Bemerkung: »Auch wenn Patta nicht dafür ist: Da ist mir ein Raubüberfall noch lieber.«
Brunetti wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Wasser auf der rechten Seite zu.
Vor der Questura angekommen, begaben sich Brunetti und Vianello unverzüglich zu Signorina Elettra, die bei ihrem Eintreten erfreut aufblickte.
»Sie kommen wegen Papetti?«, fragte sie in einem Ton, der darauf schließen ließ, dass die beiden, wenn es so war, bei ihr an der richtigen Adresse gelandet waren.
»Ja«, sagte Brunetti. »Berichten Sie.«
»Dottor Papetti ist mit der Tochter von Maurizio De Rivera verheiratet«, sagte sie, was Vianello mit einem leisen Pfiff, Brunetti mit einem geflüsterten »Ach« quittierte.
»Ihrer Reaktion entnehme ich, dass Sie wissen, wie viel Macht und Einfluss ihr Vater besitzt«, sagte sie.
Wer in Norditalien weiß das nicht?, dachte Brunetti. De Rivera war für das Bauwesen, was Thyssen für die Stahlindustrie war: Der Familienname war gleichbedeutend mit dem Produkt. Die Tochter – sein einziges Kind, falls sich nicht ein zweites in die Familie eingeschlichen hatte, während die Klatschkolumnisten im Tiefschlaf lagen – hatte, wie alle Welt wusste, einen Gutteil ihrer Jugend unter dem Einfluss ebenso illegaler wie schädlicher Substanzen verbracht.
»Wann war das mit dem Feuer?«, fragte Vianello.
»Vor zehn, elf Jahren«, antwortete Brunetti. Den Namen der Tochter hatte er vergessen, aber er wusste noch, dass damals in ihrer Wohnung in Rom ein Feuer ausgebrochen war und
Weitere Kostenlose Bücher