Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
ließen sie ihn, nach freundlicher Begrüßung und Wangenküssen, alle in Ruhe und wandten sich wieder ihren Beschäftigungen zu. Er goss sich ein Glas Weißwein ein und trug einen Stuhl auf die Terrasse, wo er eine Stunde lang sitzen blieb, dem Schwinden des Tageslichts zusah und an seinem Wein nippte, dankbar, dass die Menschen, die er liebte, ihr eigenes Leben hatten und sich mit Dingen beschäftigten, die so ganz anders waren als die schrecklichen Lügen und Täuschungen, mit denen er tagein, tagaus zu tun hatte.
Am nächsten Morgen ließ Brunetti es ruhig angehen, doch als er auf dem Weg in die Questura zu der Einsicht gelangte, eine weitere Unterredung mit Patta sei unumgänglich, wurde er zunehmend nervös. Ihm blieb nichts anderes übrig, er musste seinen Vorgesetzten informieren, was er erfahren hatte und auf wen diese Tatsachen seinen Verdacht lenkten. Wie jemand, der eine Oper komponiert, hatte er zwar Noten und Arientexte, etliche Sänger und eine Handlungsskizze, aber noch kein vollständiges Libretto.
»Sie ist Maurizio De Riveras Tochter, und Sie glauben, ihr Mann weiß etwas über einen Mord und verheimlicht Ihnen das?«, polterte Patta, nachdem Brunetti ihm von seinem Gespräch mit Papetti berichtet hatte. Hätte Brunetti ihm erzählt, dass die Verflüssigung des Bluts des heiligen Januarius ein Schwindel sei, hätte Patta nicht empörter reagieren können.
»Wissen Sie überhaupt, um wen es sich handelt, Brunetti?« Sein Vorgesetzter war außer sich.
Brunetti ging über die Frage hinweg. »Vielleicht interessiert ihn ja die Wahrheit über den Mann, mit dem seine Tochter verheiratet ist«, beharrte er.
»Die Wahrheit ist das Letzte, was ein Vater über den Mann wissen will, mit dem seine Tochter verheiratet ist.« Und dann schoss Patta noch eine Bemerkung ab: »Das sollten Sie doch am besten wissen.«
Brunetti schaffte es nicht, über diese Bemerkung ungerührt hinwegzugehen, doch immerhin senkte er den Blick schnell wieder, nachdem er seinen Vorgesetzten empört angesehen hatte. Der hatte begriffen, dass er zu weit gegangen war, denn er versuchte auf der Stelle zurückzurudern: »Sie haben doch eine Tochter. Der wünschen Sie doch auch nur den besten Mann.«
Die Beleidigung hatte Brunetti so aus der Fassung gebracht, dass er nicht gleich antworten konnte. Schließlich sagte er: »De Riveras Maßstäbe könnten von denen anderer Leute abweichen, Vice-Questore. Falls seine Tochter oder ihr Mann in irgendeiner Weise in das Geschehen verwickelt sein sollten, scheut er womöglich nicht davor zurück, die Justiz zu behindern, einem Polizisten gegenüber Falschaussagen zu machen, ja wäre vielleicht sogar zu Beihilfe zu einem Mord imstande.« Er fügte noch hinzu: »Immerhin hat er wegen der ersten beiden Punkte schon einmal vor Gericht gestanden.«
»Und wurde freigesprochen.«
Brunetti ließ das unkommentiert. »Nava wurde von hinten erstochen und irgendwie an einen Ort transportiert, wo er in einen Kanal geworfen werden konnte. Das weist auf die Beteiligung von mindestens zwei Leuten hin«, bemerkte er. Inzwischen hatte er sich etwas beruhigt und seine Stimme wieder unter Kontrolle.
»Und warum sollte Papetti etwas damit zu schaffen haben?«, fragte Patta von oben herab.
Brunetti hielt sich zurück und platzte nicht damit heraus, dass es sich einfach richtig anfühlte, denn er wusste nur zu gut, was der Vice-Questore davon halten würde. »Das ist nicht zwingend, Dottore. Aber er weiß etwas und enthält uns Informationen vor. Er wusste von der Affäre zwischen Nava und Borelli: Seine Fassungslosigkeit, als ich ihn darauf ansprach, beweist das hinlänglich. Und wenn er sie für den Job als seine Assistentin empfohlen hat, muss sie etwas gegen ihn in der Hand haben«, sagte Brunetti, der an Großzügigkeit aus reiner Nächstenliebe nicht glauben mochte.
Patta spitzte die Lippen, ein Signal, das Brunetti im Lauf der Jahre als Anzeichen dafür zu deuten gelernt hatte, dass sein Vorgesetzter zur Vernunft kam. Der Vice-Questore hob die Rechte und studierte seine Fingernägel. Brunetti wusste nicht, ob er sie tatsächlich inspizierte oder ob dies nur eine Geste war, um Nachdenklichkeit anzudeuten. Endlich ließ Patta die Hand sinken und entspannte sich. »Was haben Sie vor?«
»Ich möchte Signorina Borelli hierher bestellen und ihr ein paar Fragen stellen.«
»Zum Beispiel?«
»Das werde ich erst wissen, wenn ich nähere Informationen habe.«
»Informationen welcher Art?«, fragte
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