Tierische Profite: Commissario Brunnetis einundzwanzigster Fall (German Edition)
erklärte sie zögernd: »Einer meinte – ich weiß nicht mehr, wer –, es könne sein, dass die Bauern einfach versuchen, bei dem neuen Tierarzt vermehrt kranke Tiere abzuladen. Um zu testen, wie streng der Neue ist.« Sie lächelte verlegen, als sei es ihr peinlich, ein solches Beispiel für menschliche Verschlagenheit in Worte fassen zu müssen.
»Der Test hat sich aber ziemlich lange hingezogen«, sagte Brunetti trocken; und als sie ihn fragend ansah: »Bis zu seinem Tod.«
Sie zog die Augenbrauen hoch, als sei ihr das neu; sagte aber nichts.
Vianello blätterte um. Signorina Borelli und Brunetti sahen sich an, beide warteten vergeblich, dass der andere etwas sagte.
Dann aber fragte Brunetti, der das gern aus ihrem Mund hören wollte: »Könnten Sie mir etwas zu Ihrem Verhältnis mit Dottor Papetti sagen?«
Diese Frage überraschte sie tatsächlich. »Verhältnis?«, fragte sie.
»Er hat Sie als seine Assistentin eingestellt, nachdem Sie Ihren früheren Job verlassen mussten – vermutlich ohne besondere Empfehlung.« Dass Brunetti davon wusste, schien sie noch mehr zu überraschen. »Daher meine Frage nach Ihrem Verhältnis zu ihm.«
Sie lachte. Ein aufrichtiges, melodisches Lachen. Als sie dann antwortete, war ihrer Stimme anzuhören, dass sie es allmählich satt hatte, ihren Zorn weiter zu unterdrücken: »Ihr Männer könnt wirklich immer nur an das eine denken, oder? Er war mein Chef; wir haben zusammen gearbeitet; das ist alles.«
»Sie hatten also kein sexuelles Verhältnis mit ihm, so wie mit Dottor Nava?«
»Sie haben ihn doch gesehen, Commissario. Glauben Sie, irgendeine Frau findet so einen attraktiv?« Ihr fiel noch ein abwegigeres Wort ein: »Begehrenswert?« Ihr Spott ließ Brunetti die ganze Tragweite jenes Satzes aus der Bibel erfassen: »Und sie verlachten ihn.« Sarkastisch fuhr sie fort: »Außerdem weiß er ganz genau, wenn er eine andere Frau auch nur ansieht, lässt ihm der Papa seiner kleinen Natascha noch am selben Tag Arme und Beine brechen.« Einmal in Fahrt, wollte sie womöglich noch weitere Strafmethoden seines Schwiegervaters aufzählen, ließ es aber bei einem »Oder schlimmer« bewenden.
»Sie hatten also keine sexuelle Affäre?«
»Wenn Sie solche Fragen erregen, Commissario, dann muss ich Sie enttäuschen. Nein, Alessandro Papetti und ich hatten keine sexuelle Affäre. Einmal hat er versucht, mich zu küssen, aber eher würde ich mit einem der Schlachter ins Bett gehen.« Sie schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Beantwortet das Ihre Frage?«
»Ich danke Ihnen, dass Sie vorbeigekommen sind, Signorina«, sagte er. »Sollten wir weitere Fragen haben, werden wir uns noch einmal bei Ihnen melden.«
»Das heißt, ich kann gehen?«, fragte sie und merkte sofort, dass sie das besser nicht gesagt hätte.
Impulsiv, dachte Brunetti. Sehr hübsch und vermutlich bezaubernd, wenn sie will oder wenn es ihren Zwecken dient. Er betrachtete ihr reizendes Gesicht, dachte an das, was sie über Nava gesagt hatte, und erkannte fröstelnd, dass ihre Kaltherzigkeit nicht dem Versuch entsprang, sich von Nava zu distanzieren, sondern schlicht Ausdruck ihres Wesens war.
Beide Männer erhoben sich, dann sie. Vianello hielt ihr die Tür auf. Schweigend wandte sie sich von Brunetti ab und verließ das Büro. Vianello folgte ihr, Brunetti stellte sich ans Fenster.
Wenige Minuten später sah er unten ihren Kopf auftauchen, dann den Rest ihres Körpers: Sie bog nach links ab und geriet außer Sicht.
Er starrte noch auf den Fleck, wo sie verschwunden war, als er Vianello zurückkommen hörte. »Nun?«, sagte der Ispettore.
»Ich finde, wir sollten uns noch einmal mit Dottor Papetti unterhalten«, sagte Brunetti. »Aber diesmal hier. Da wird es ihm eher ungemütlich.«
31
Anders als seine Assistentin erschien Papetti am nächsten Morgen in Begleitung seines Anwalts. Avvocato Torinese war Brunetti bekannt, ein solider, zuverlässiger Strafverteidiger von gutem Ruf. Brunetti hatte eher einen der vielen Raubfische erwartet, die im Haifischbecken der Strafjustiz lauerten, und war daher angenehm überrascht, Torinese zu sehen, der sich, freilich clever und zu verblüffenden Winkelzügen fähig, im großen Ganzen an die Regeln hielt. Mit bestochenen Zeugen oder falschen ärztlichen Attesten musste man bei ihm nicht rechnen.
Die beiden Männer nahmen Brunetti gegenüber Platz, Vianello setzte sich auf einen Stuhl, der neben dem Schrank gestanden hatte. Wieder waren Aufnahmegerät und
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