Tiffamy Duo Band 29
Hunderte von Kilometern nach Norden erstreckte.
Langsam schwamm Mandy auf das Riff zu. Daniel begleitete sie, überwachte die Luftblasen, die sie ausstieß, und zählte buchstäblich ihre Atemzüge. Erfreut registrierte er, dass sich ihre Atmung nicht beschleunigte. Ihre Angst schien allmählich zu schwinden. Sie atmete zwar immer noch nicht ganz ruhig, aber das konnte auch daran liegen, dass sie sich dem gewaltigen Korallenriff gegenübersah. Auch sein Atem hatte sich unwillkürlich beschleunigt, als er das legendäre Barrierriff zum ersten mal mit eigenen Augen gesehen hatte.
Mandy schwamm bis auf Armeslänge an das Riff heran. Sie befanden sich höchstens zwei Meter tief unter der Wasseroberfläche. Hier ähnelte das Riff einem wärme- und lichtdurchfluteten Garten, der von einer phantastischen Tier- und Pflanzenwelt bevölkert wurde. Die lebenden Organismen waren zum Teil so winzig, dass man ihre zarten, zerbrechlichen Formen kaum erkennen konnte.
Seesterne, deren Arme sich wie Federn im Wind bewegten, saßen an der Außenseite der Wand und hoben sich als feurig rote oder kühle weiße Tupfer von der gedämpften Vielfalt der Korallen ab. Schwämme in allen Größen und Formen wuchsen aus den Ritzen, Höhlen und Vertiefungen der Korallenformationen. Ein riesiger Schwarm kleiner Fische schlängelte sich vor der Korallenwand durchs Wasser. Wie milchweiße Wolken hingen Gallertmassen mit Fischeiern an der Riffwand.
In den zahllosen Ritzen und Grotten hatten sich die verschiedensten Lebewesen angesiedelt. Mandy konnte ihre Umrisse anfangs nur schemenhaft erkennen. Als Daniel jedoch mit seiner Taucherlampe in die Grotten hineinleuchtete, entdeckte sie die seltsamsten Fische. Korallen, die aussahen wie riesige zusammengefaltete Fächer, wucherten von oben herab über die Wand und wuchsen an ihr herunter in die Tiefen des Ozeans, wo Licht und Wärme langsam von den Wassermassen aufgesogen wurden.
Überall war Leben. Beweglich oder unbeweglich, getarnt oder grellbunt, gejagt oder jagend, anmutig und grotesk, aggressiv und scheu, schön, hässlich, unheimlich, überwältigend — Mandy hatte sich nicht einmal annähernd einen Überblick über die erstaunliche und verschwenderische Vielfalt an Lebewesen verschaffen können, als Daniel ihre Schulter berührte und auf seine Uhr deutete. Überrascht musste sie feststellen, dass ihre Tauchzeit schon fast abgelaufen war. Und noch überraschter war sie, als sie merkte, wie tief sie an der Wand heruntergetaucht war. Die Wasseroberfläche war nur noch als ferne silbrige Spiegelung zu erkennen.
Langsam, fast widerstrebend, folgte sie Daniel nach oben, zurück in die Welt des Lichts und der Wärme.
★
In den folgenden Tagen nutzten Mandy und Daniel jede freie Minute zum Tauchen. Gemeinsam erlebten sie die unglaubliche Schönheit und Vielfalt des Ozeans. Nach wenigen Ausflügen war Mandys Angst verflogen. Sobald sie ins Wasser eingetaucht war, fühlte sie sich wie früher als ein Teil des Meeres. Sicherheit und Geborgenheit umgaben sie in den blauen Tiefen. Sie verlor jegliches Zeitgefühl und hatte die Erinnerungen an ihre Vergangenheit hinter sich gelassen. Was zählte, waren Daniel und der Zauber der Unterwasserwelt. Daniel ging es ebenso. Er lebte in diesen Wochen nur für Mandy und die Schönheit der Natur um sie herum.
So verbrachten sie die Zeit in ihrem kleinen Paradies, bis ihr letzter Tag auf der Insel anbrach. Noch einmal tauchten sie zum Riff hinunter, dann verließen sie die Unterwasserwelt. Sie wussten beide, dass damit auch ihre gemeinsame Zeit abgelaufen war. Schweigend saßen sie nebeneinander in dem Boot, das sie ans Ufer zurückbrachte. Während Daniel im Schuppen blieb, um mit Ray zusammen ihre Taucherausrüstungen zu verpacken, ging Mandy duschen.
Als Daniel etwas später ins Zelt kam, um mit ihr essen zu gehen, konnte er sie nicht finden. Nur die weiße Porzellanmuschel, die Mandy ans Kopfende ihres Bettes gelegt hatte, schimmerte geheimnisvoll im dämmrigen Licht des Zeltes. Plötzlich überkam Daniel eine unsagbare Traurigkeit. Er kniete sich hin und strich mit den Fingerspitzen über die seltene, makellose Muschel, die sie auf der Insel zurücklassen mussten.
Einen Moment schloss er die Augen. Dann sprang er auf. Er musste Mandy finden. Er wusste nicht, warum er plötzlich solche Sehnsucht nach ihr hatte, er machte sich auch keine Gedanken darüber. Er wusste nur, dass er sie brauchte. Sie war weder im Badehaus noch am Strand. Die Flut war auf
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