Tiffany Duo 48
aus wie ein
verstocktes Kind, das auf seine verdiente Strafe wartet.
"Absichtlich?" erkundigte er sich sanft.
"Natürlich nicht. Ich konnte ja nicht ahnen, daß Sie so ein schrecklicher Mensch sind.
Ich hatte Sie mir als reizenden alten Herrn vorgestellt."
Nick lachte, der Duft von Hühnerfrikassee und Wein besänftigte ihn und hielt ihn
von einer entsprechenden Antwort zurück. "Statt dessen bin ich ein übellauniger, nicht ganz so alter Mann."
"Richtig." Sie blieb reglos stehen und machte keine Anstalten, ihren Mantel auszuziehen. "Sonst noch etwas?"
"Sie haben Kaffee mitgebracht", stellte er verträumt fest. "Und Sahne. Und Kuchen.
Und.. ."Stille. "Und Cognac!" murmelte er andächtig. "Ich könnte Sie küssen!"
Er sah ihr an, daß sie nervös wurde. Die Diele war ziemlich eng, und er war ziemlich
groß. Sybil wich in Richtung Tür aus. "Ich dachte, Sie hätten vielleicht keine Zeit mehr gehabt, einkaufen zu gehen", erklärte sie atemlos. "Nun, ich mache mich jetzt lieber wieder auf den Heimweg." Sie öffnete die Tür und hoffte offensichtlich, sich rasch davonmachen zu können.
Nick verhinderte das, indem er über ihren Kopf weg die Tür wieder ins Schloß
drückte. "Sie können mich doch nicht allein lassen! Ich habe nicht nur Hunger, ich fühle mich auch einsam!"
"Ich glaube nicht, daß ich Ihnen heute abend eine angenehme Gesellschaft sein
würde ..."
Nick stellte den Korb auf den Boden und begann ohne Umschweife, ihr den Mantel
aufzuknöpfen. "Nick, nicht..."
"Tun Sie mir den Gefallen." Er kam näher, streifte den Mantel von ihren Schultern, und ihre Körper berührten sich beinahe. Eine kleine, einschüchternde Taktik mit
erstaunlicher Wirkung. Er konnte förmlich die Wärme spüren, die von ihr ausging,
und ahnte, welch inneren Kampf sie mit sich ausfocht.
Doch er verlor dabei. Sie zog sich den Mantel wieder über und stieß Nick zur Seite.
"Vergessen Sie's. Ich muß meine Hunde noch füttern."
Er wußte genau, wann er sich zurückzuziehen hatte. Achselzuckend trat er einen
Schritt zurück, aber erfreut bemerkte er den leicht enttäuschten Ausdruck in ihren
Augen. "Nun, wenigstens hatte ich Vorrang vor Ihren Hunden."
"Ich war auf dem Heimweg, sonst wären die Hunde an erster Stelle gekommen."
Sie log schon wieder. Er erinnerte sich an Dulcys scheinbar oberflächliches
Geplauder, das ihm all das verraten hatte, was er wissen wollte. "Jedenfalls vielen Dank für das Essen."
Sybil griff nach der Klinke. "Das hätte ich für jeden anderen auch getan."
"Ich soll also keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen?"
"Sehr richtig."
"Wollen Sie mir bitte etwas sagen, Sybil?"
Sie zögerte, und er wußte, daß sie jetzt am liebsten zu ihrem Wagen gerannt wäre.
Aber so feige war sie nicht. Sie drehte sich um. "Ja?"
"Warum haben Sie Angst vor mir?"
"Ich habe vor niemandem Angst", behauptete sie und seufzte leise.
"Warum lügen Sie mich dann an?"
"Das tue ich doch gar nicht..."
"Dulcy hat Ihre Hunde gefüttert. Vor ungefähr anderthalb Stunden sind Sie bereits hier vorbeigefahren auf Ihrem Weg nach Hause. Ich war draußen und habe Sie
gesehen. Warum bleiben Sie also nicht und essen mit mir zu Abend? Haben Sie
Angst, ich könnte über Sie herfallen? Ich verspreche Ihnen, ich kann meine Triebe
unter Kontrolle halten!"
"Oh, bestimmt können Sie das", versetzte sie kühl.
"Warum also?"
Sie lächelte süß. "Weil ich Sie nicht mag." Damit lief sie zu ihrem Auto, stieg ein und gab Vollgas.
Nick sah ihrer halsbrecherischen Abfahrt schmunzelnd zu. "Und das, meine liebe
Sybil, ist schon wieder eine Lüge", sagte er vor sich hin und kehrte ins Haus zurück.
Die Hunde empfingen Sybil mit der üblichen Begeisterung, aber selbst das besserte
ihre düstere Stimmung nicht. Sie hatte Nick ihren letzten Cognac dagelassen, und so
verzweifelt war sie nun auch wieder nicht, um an den ständig größer werdenden
Vorrat an Rosmarinwein von Leona zu gehen.
Sie ließ die Hunde ein letztes Mal hinaus, feuerte den Ofen noch einmal nach und
schlüpfte in ihr warmes, weiches Nachthemd. Sie kletterte ins Bett und griff nach
dem I Ging.
Von allen Befragungsmethoden war ihr das alte chinesische I Ging am allerliebsten.
Indem sie die Münzen warf und danach das entsprechende Hexagramm aus dem
dazugehörigen Buch suchte, hatte sie schon unzählige Male Antwort auf die
unmöglichsten Lebensfragen erhalten. Sie lehnte sich zurück, schloß die Augen, um
sich zu konzentrieren und warf die drei
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