Tiffany Duo 48
einzigen."
Sybil hatte ihre Suppe zu Ende gegessen und griff nach einem der köstlichen
Rauchfleischsandwiches. "Nein, das sind
sie auch nicht. Es sieht so aus, als sei die Hälfte der alten Damen dieser Stadt um
ihre Ersparnisse gekommen."
"Kommt Ihnen das nicht merkwürdig vor?"
Sie hielt kurz inne und sah ihn an. "Nein, nicht unbedingt. Auch unsere Farmer
stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten. Die Wirtschaftslage ist nun mal schon seit
längerer Zeit ziemlich miserabel."
"So miserabel auch wieder nicht."
"Hören Sie, die Menschen machen immer wieder schlechte Investitionen, ich kann
sogar nachvollziehen, wie das passiert. Die Hälfte dieser Frauen sind Farmerwitwen.
Als ihre Männer starben, haben sie die Farmen verkauft, sind in die Stadt gezogen
und haben ihr Vermögen angelegt. In ihrem ganzen bisherigen Leben hatten sie nie
sonderlich viel mit Geldgeschäften zu tun, daher ist es kein Wunder, daß sie in
Schwierigkeiten kamen. Danbury ist voller Frauen, die dieses traurige Schicksal
erlitten haben."
"Haben sie ihr Vermögen alle bei derselben Organisation verloren?"
"Natürlich nicht. Die Mullers investierten in Orangenterminware, doch dann kam ein harter Winter. Ally Johnson hat ihr Vermögen bei einer Coumputerfirma verloren.
Merla Penney und Cleora Lyles investierten in eine Holzofenfirma, als sich
herausstellte, daß der Markt längst gesättigt war. Es war eine Reihe unglücklicher
Zufälle."
"Wenn Sie meinen."
Sybil schob ihren Teller von sich und sah bedauernd auf die leere Coladose. "Sie meinen das offensichtlich nicht. Welche Erklärung haben Sie denn dafür?"
"Ich denke, sie sind alle hereingelegt worden."
"Wenn das so ist, warum hat der Betrüger sich dann nicht alles geholt? Alle
Betroffenen haben noch genug zum Leben, sie haben nur nichts mehr zum Vererben
an ihre Nachkommen. Sollte das ein Betrüger mit Skrupeln sein?"
"Jemand, der hilflose alte Witwen beraubt, hat keine Skrupel."
"Ich glaube nicht, daß es so ist", widersprach Sybil entschieden. "Wahrscheinlich sehen Sie Gespenster. Bei Ihnen hat wohl bereits das Hüttenfieber eingesetzt,
obwohl Sie erst zwei Tage hier sind."
"Vielleicht bedarf es auch eines unbefangenen Außenstehenden, der erkennt, was
sich hier direkt vor Ihrer Nase abspielt", gab Nick mit einer gewissen Schärfe zu bedenken.
"Nun, wenn wir nach einem unbefangenen Außenstehenden suchen, dann ist der
große Professor wohl auch noch nicht der richtige Mann."
Er öffnete den Mund, um ihr eine bissige Antwort zu geben, besann sich dann aber
anders. Sybil konnte deutlich sehen, wie mühsam er sich beherrschte, und sie
wunderte sich, warum er das überhaupt tat. "Machen Sie nur so weiter", drohte er.
"Dann gebe ich Ihnen die zweite Dose Cola nicht, die ich für Sie gekauft habe."
Am liebsten hätte Sybil ihren Stolz über Bord geworfen und darum gebeten. Statt
dessen richtete sie sich kerzengerade auf. "Sehr freundlich von Ihnen, aber ich hatte bereits eine."
"Die Sie im Nullkommanichts ausgetrunken haben."
"Wie nett, daß Ihnen das aufgefallen ist."
"Ich beobachte nun mal scharf."
"Und ich versuche, mir das Colatrinken abzugewöhnen."
Er nahm die zweite Dose aus der Tüte und stellte sie auf den Tisch. "Ich möchte Sie nicht in Versuchung bringen."
Sybil nahm sie, noch ehe er zu Ende gesprochen hatte. "Sie sind ein Scheusal, wissen Sie das?" stellte sie liebenswürdig fest. "Ich kann nur hoffen, daß Sie meine anderen Schwächen nicht auch noch entdecken."
Nick sagte nichts, aber er lächelte. Dieses Lächeln verwandelte sein attraktives,
leicht asketisches Gesicht
vollständig. Hatte er sie vorher an Satan erinnert, so kam er ihr jetzt eher vor wie ein gefallener Engel, und ihr Herz tat einen aufgeregten kleinen Sprung.
"Also gut, sollte tatsächlich ein Betrüger am Werk sein, wer ist es dann Ihrer
Meinung nach?" tat sie ihm den Gefallen.
"Sie."
"Verzeihung?"
"Was glauben Sie wohl, wen ich damit meine!"
Sybil, die eben ihr Glas an den Mund führen wollte, hielt mitten in der Bewegung
inne. "Sie meinen doch nicht mich?"
"Frommes Wunschdenken. Nein, Sie sind nicht bösartig."
"Unterstellen Sie mir damit etwa, ich wolle bösartig sein?" brauste sie auf.
"Nun, vielleicht kokettieren Sie mit dieser Idee."
"Schön, wenn ich es nicht bin, wer dann? Dulcy? Da liegen Sie aber völlig daneben.
Dulcy hat schon immer einen Großteil ihrer Zeit damit verbracht, den alten Damen
zu helfen. Sie ist eine Anwältin der Armen und
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