Tiffany Duo 48
seinen etwas aus der Übung
gekommenen Charme aufsetzen und sie bitten, ihr Telefon benutzen zu dürfen.
Wenn er es klug anstellte, lud sie ihn vielleicht sogar zum Abendessen ein, und er
brauchte sich nicht mit dem nicht sehr verlockend aussehenden Büchsenfleisch zu
begnügen. Er würde sich ausdenken müssen, wen er zuerst anrief, jemanden, der
bestimmt nicht zu Hause war, damit er einen Grund hatte, länger zu bleiben und es
noch woanders zu versuchen. Daß sein Telefon nicht funktionierte, hatte er
überhaupt erst festgestellt, weil er Sybil anrufen wollte, aber das konnte er ihr
selbstverständlich nicht sagen. Die Ursache allen Übels war, daß er sich ruhelos,
gelangweilt und einsam fühlte. Und das wiederum hatte mit Sybil Richardson zu tun.
Nicht, daß er sich über einen Mangel an Besuchern hätte beklagen können. Im
Gegenteil, es waren viele gekommen, von Dulcy mit ihrer Marmelade bis hin zu
Leona und zweien ihrer ältlichen Freundinnen, die ihm diesen ekelhaften
Rosmarinwein und steinharte Vollkornkekse mitgebracht hatte.
Nun, er würde es überleben. Im Handschuhfach seines Wagens lag eine Tüte
Gummibärchen, und in seiner Reisetasche befand sich ein Glas Instantespresso.
Gleich am nächsten Morgen würde er dann in ein Lokal fahren und ausgiebig
frühstücken. Und wenn der Hunger allzu groß wurde, mußte er eben in den sauren
Apfel beißen und den ganzen Weg nach St. Johnsbury zurückfahren und dort in
einem Restaurant essen. Vorausgesetzt, er wollte Sybil Richardson nicht aufsuchen.
Je mehr er darüber nachdachte, desto entschiedener verwarf er diese Idee. Er war
hungrig und einsam, aber zu diesem Zeitpunkt war es sicher viel besser, den
nächsten Schritt ihr zu überlassen. Er wollte nicht, daß sie sich bedrängt fühlte.
Obwohl er das am liebsten getan hätte ...
Er warf sich auf das Sofa und starrte finster auf den Ofen. Nicht einmal ein hübsches Kaminfeuer, in das man schauen kann, dachte er verstimmt. Nichts zu trinken, nichts
zu lesen. Er ahnte, daß ihm ein äußerst unangenehmer Abend bevorstand.
Was wohl "Die nach Erleuchtung Suchenden" in einer solchen Situation tun würden?
Bestimmt nicht herumsitzen und vor sich hinbrüten. Er konnte sich ja auch einmal
zurücklehnen, meditieren und versuchen, Schwingungen durch die Nacht bis hin zu
seiner Nachbarin in Gang zu setzen. Er legte sich hin, streckte die langen Beine aus, lächelte zynisch und schloß die Augen.
"Komm her, Sybil Rächardson", stimmte er in einem eintönigen Singsang an, der Leona alle Ehre gemacht hätte. "Komm her und bring mir etwas zu essen."
Das Holz im Ofen knisterte lauter, und Nick rutschte auf dem Sofa etwas tiefer.
"Komm her", murmelte er. "Bring mir etwas zu essen und zu trinken und laß deine Killerhunde zu Hause. Komm zu mir, Sybil." Seine Stimme hörte sich dumpf und
unheimlich in dem leeren Haus an.
Es klopfte energisch an der Haustür. Nick konnte es deutlich bis ins Wohnzimmer
hören, und er setzte sich erschrocken auf. Er hatte gar nicht gehört, daß ein Auto
gekommen war in dieser stillen, kalten Dezembernacht.
Er ging in die Diele und blieb vor der massiven hölzernen Haustür stehen. Jemand
rüttelte an der Klinke, jemand, der offensichtlich ziemlich gereizter Stimmung war.
Er konnte sich schon denken, wer das war, aber der Zufall wäre nicht nur enorm
gewesen, er hätte ihm auch eine neuerliche Gänsehaut verursacht. Es konnte doch
nicht sein, daß er sie mittels Telepathie herbeigerufen hatte, oder? Wieder klopfte
es, noch lauter und noch ungehaltener.
"Wer ist da?"
"Na, wer wohl, Sie Angsthase!" Von draußen ertönte deutlich vernehmbar Sybils ärgerliche Stimme. "Machen Sie endlich die verdammte Tür auf, ich friere!"
Ein Lächeln stahl sich auf Nicks Züge. "Woher soll ich wissen, daß Sie es wirklich sind und nicht Ihr Geist?"
Wütendes, unheilverkündendes Schweigen auf der anderen Seite. "Wenn Sie nicht
aufmachen, gehe ich wieder und nehme mein Hühnerfrikassee und den Cognac
mit!"
Nick riß die Tür auf, noch ehe sie zu Ende gesprochen hatte. Da stand sie, klein,
trotzig und mit einem ganzen Korb voller Köstlichkeiten. "Die Retterin in der Not!"
rief er dankbar und nahm ihr den Korb ab.
"Ihr Telefon funktioniert nicht", erklärte sie unumwunden.
"Ich weiß. Dieses verdammte ..."
"Halt", unterbrach sie ihn. "Es ist meine Schuld, ich habe vergessen, es anzumelden."
Er hörte auf, den Eßkorb zu durchstöbern, und sah sie kurz an. Sybil sah
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