Tiffany Duo 48
sie ihn überhaupt nie wieder zu sehen brauchte. Aber ihre Pflichten
und auch die momentane finanzielle Lage zwangen sie dazu, den ganzen Vormittag
im Büro des "Vereins der Wasserhexen" und den ganzen Nachmittag in ihrem
kleinen Buchladen zu verbringen. Während dieser ganzen Zeit arbeitete Nick einen
Stock höher, und seine Schritte ertönten durch das ganze Haus und erinnerten Sybil
ständig an seine Gegenwart.
Nick war nun schon seit zehn Tagen in Danbury, und die Lage wurde nicht gerade
einfacher. Sicher, während der Bürostunden hatte er sich bemerkenswert, ja,
geradezu frustrierend höflich benommen. So höflich, daß Sybil manchmal Lust hatte,
ihm die Luft aus den nagelneuen Winterreifen zu lassen, nur um zu sehen, wie er
darauf reagierte. Sie widerstand dieser Versuchung genauso wie der, stündlich die
schmale Treppe nach oben zu eilen und ihm irgendeine belanglose Frage
zu stellen. Wenn sie ihm so gleichgültig war, bitte, dann konnte sie den Spieß auch
umdrehen.
Wenn nur die Träume endlich aufgehört hätten. Jeden Morgen schrieb Sybil sie
pflichtschuldigst nieder und analysierte sie dann beim Morgenkaffee. Die meisten
davon waren sehr erotisch und auf unangenehme Weise detailliert. Zum Glück
bedeuteten Träume selten das, wovon sie handelten. Nur weil sie ausgesprochen
schwüle Träume von Nicholas Fitzsimmons hatte und morgens mit klopfendem
Herzen und schweißgebadet aufwachte, hieß das noch lange nicht, daß sie etwas
von ihm wollte. Nein, das Ganze mußte eine andere Bedeutung haben, allerdings
kam Sybil absolut nicht dahinter, welche.
Trotzdem ging die Sache mit Nick allmählich über ihre Kräfte, ein Segen, daß sie
noch an diesem Nachmittag nach Princeton flog. Das war das erste Mal seit Jahren,
daß sie sich auf einen Besuch bei ihrer Familie freute. Normalerweise wirkte deren
makellose Vollkommenheit immer einschüchternd auf Sybil, diesmal jedoch nicht.
Diesmal würde sie sich glücklich in die Familie einfügen und nicht mehr an Nicholas
Fitzsimmons denken, geschweige denn von ihm träumen. Bestimmt würde sie so
damit beschäftigt sein, die wohlmeinenden Vorschläge ihrer Lieben abzuwehren,
daß sie sogar seine Existenz vergessen würde.
Die Damen aus den Davis Apartments hatten angekündigt, daß Leona am
kommenden Tag zurückkommen würde. Sie war sonst nie so lange fortgeblieben,
und Gladys war zunehmend unausstehlicher geworden, obwohl Sybil sich die größte
Mühe gegeben hatte, sie mit allen möglichen Leckereien friedlich zu stimmen.
Nun, an diesem Abend würde Mary Philbert sie noch einmal versorgen, und morgen
war ja dann Leona wieder da. Dulcy hatte bereits Sybils Hunde mit zu sich nach
Hause genommen. Von jetzt an brauchte sie sich nur noch auf ihre Familie zu
konzentrieren, und das allein war schon gedankenfüllend genug. Wenn sie die
nächsten fünf Tage nur gut überstand, dann konnte sie wieder ihre ganzen Energien
darauf verwenden, sich Nicks scheinbar so unwiderstehlicher Anziehungskraft zu
widersetzen. Und wenn ihr das nicht gelang ...
Sybil ließ schimpfend das Strickzeug sinken. Irgendwo hatte sie schon wieder eine
Masche fallen lassen. Sie mußte unbedingt herausfinden, in welcher Reihe das
gewesen war, sonst war der Fehler nicht mehr zu beheben. Es würde Nick ganz recht
geschehen, wenn sie ihm diesen Pullover schenkte. Nicht einmal ihr ärgster Feind
verdiente eine solche Schlamperei.
Nicht, daß Nick ihr ärgster Feind gewesen wäre, er stellte nur ein permanentes
Ärgernis dar. Schlimm genug, wenn er in ihrer Nähe war und mit ihr flirtete, aber
noch schlimmer war es, wenn er sie gar nicht beachtete.
Vielleicht wäre alles etwas einfacher gewesen, wenn sie sich mehr auf Weihnachten
hätte freuen können. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte bei ihr dieses
Jahr nicht die rechte Stimmung aufkommen. Zwar hatte sie sich schon dazu
aufgerafft, die Büroräume und den Buchladen festlich zu dekorieren, auch hatte sie
sich bereits eine zauberhafte kleine Coloradofichte auf dem Feld hinter ihrem Haus
ausgesucht, die einen bildschönen Weihnachtsbaum abgeben würde. Und zum
Glück hatte sie sich dabei wenigstens nicht von einem männlichen Wesen
dazwischenreden lassen müssen.
Aus Erfahrung wußte Sybil, daß Männer extrem streitlustig wurden, wenn es um
Weihnachtsbäume ging. Schickte man sie los, um einen zu kaufen, kamen sie meist
mit dem erbärmlichsten Gestrüpp zurück.
Sybils Vater war so gewesen,
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