Tiffany Duo 48
schüttelte den Kopf. "Vorchristliche und heidnische Feiertage sind ja gut und schön, aber wenn es um Weihnachten geht, werde ich doch sehr traditionsbewußt
und sentimental."
"Im Grunde bist du ein ziemlich gutbürgerliches Mädchen mit einem Hang zu
Konventionen, nicht wahr?" zog Dulcy sie mit leisen Spott auf.
Sybil wollte den Köder nicht annehmen. "Es ist nie gut, wenn man seine Herkunft
völlig verleugnet."
Dulcy lächelte. "Genau das, was ich versucht habe, dir klarzumachen, Sybil. Denk nur gut darüber nach."
"Ich werde über gar nichts nachdenken, sondern früh ins Bett gehen", erklärte sie entschlossen.
"Dann wirst du dich nicht mit Nick treffen?"
"Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt in der Stadt ist."
"Allerdings ist er das. Er wird den heutigen Abend allein auf der Black Farm
verbringen. Morgen muß er nach Massachusetts, aber heute ... Warum siehst du
mich denn so an?"
Sehr bedächtig stellte Sybil das letzte Tablett auf die Anrichte, und genauso
bedächtig nahm sie den Teller mit den Weihnachtsleckereien in Augenschein.
Schließlich entschied sie sich für ein kleines Lebkuchenmädchen und biß ihm den
Kopf an. "Da du ja so außerordentlich gut in seine Pläne eingeweiht bist, warum
leistest du ihm dann nicht etwas Gesellschaft?" schlug sie sanft vor.
Dulcy warf den Kopf in den Nacken und stimmte ein herzhaftes Lachen an, das Sybil
vollkommen unberührt ließ. "Deine Eifersucht ist tröstlich, Liebes. Ich fürchtete schon, du seist jenseits von Gut und Böse. Ich weiß alles über Nicks Pläne, weil ich
ihn danach gefragt habe. Und gefragt habe ich ihn, als er mich unter irgendeinem
dummen Vorwand anrief, um etwas über dich zu erfahren. Ich habe dir schon mal
gesagt, Sybil, er will nicht mich, sondern dich. Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff!"
Sybill verzehrte den Rest des Lebkuchens. In den letzten zwei Tagen hatte sie
pausenlos gegessen, bestimmt hatte sie zehn Kilo zugenommen, und von all dem
süßen Zeug wurde ihr allmählich schlecht. Trotzdem griff sie nach einem weiteren
Lebkuchen. "Es wird nicht gutgehen, Dulcy."
Aber Dulcy hatte keine Lust mehr zu streiten. "Wenn du meinst." Sie nahm die letzten Plätzchen aus Sybils Reichweite und verstaute sie in einer hübschen
Blechdose. "Solltest du es dir noch anders überlegen, ruf mich an. Ich bin zu Hause und bereite ein paar Zaubersprüche für das neue Jahr vor."
"Aber nicht für mich!" wehrte Sybil entsetzt ab.
Dulcy lächelte nur vielsagend.
10. KAPITEL
Später am Abend sagte Sybil sich, daß es doch entschiedene Vorteile hatte, allein zu
wohnen. Man konnte dann tun, was man wollte, und das zu jedem beliebigen
Zeitpunkt, auf jede mögliche Weise. Man mußte seine Freiheit nur richtig ausnutzen.
Sie setzte sich ins Wohnzimmer, aß mit Genuß Huhn mit wildem Reis, trank Wein
und gab sich ganz den rührseligen Gedanken hin, die einem Weihnachten so leicht
kamen.
Das war nicht das erste Weihnachten, das sie allein verbrachte. Für gewöhnlich
genoß sie das immer sehr, viel mehr, als wenn man sie in Princeton von einer
eleganten Cocktailparty zur nächsten geschleppt hätte.
Nein, da gefiel es Sybil hier in ihrem kleinen, gemütlichen Haus viel besser. Draußen vor den Fenstern fiel der Schnee, im Zimmer stand die hübsche kleine Fichte, die sie
selbst geschlagen und liebevoll geschmückt hatte, zu ihren Füßen lagen die Hunde,
und niemand drängte sie dazu, auszugehen.
Naserümpfend nahm sie zur Kenntnis, daß Andy Williams gerade ein
außerordentlich schmalziges Weihnachtslied sang. Da war ihr das alte "White
Christmas" schon lieber, ganz gleich, wie oft man es auch schon gehört haben
mochte.
Sie schob das Huhn beiseite. Es schmeckte köstlich, aber nachdem sie zwei Tage lang
fast ununterbrochen gegessen hatte, war ihr plötzlich der Appetit vergangen. Sogar
der Chardonnay schmeckte ihr nicht so gut, wie sie erst gedacht hatte. Sie trug das
Geschirr in die Küche, stellte es in die Spüle und schlenderte ins Wohnzimmer
zurück.
Unter dem Weihnachtsbaum lagen die in farbenfrohem Papier eingewickelten
Geschenke. Vielleicht hatte sie doch mehr mit ihren Eltern gemeinsam, als sie sich
eingestehen wollte. Sybil fühlte sich niedergeschlagen, ruhelos und einsam.
Natürlich konnte sie sich umziehen und Dulcy ihr Geschenk bringen, vielleicht sogar
die Mullers besuchen. Doch nein, die Mullers waren bestimmt auf der
Weihnachtsfeier, die für die Bewohner der Davis Apartments
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