Tiffany Duo 48
sie sehnte sich nur danach, wenigstens
die Wahl zu haben. Allerdings hatte sie eine Arbeit, die ihr Freude machte, gute
Freunde und sehr kreative Hobbys, die für ihre Familie der reinste Alptraum waren.
Eigentlich war sie sehr zufrieden, selbst an so einem düsteren, verschneiten Tag wie
diesem. Wenn da nur nicht diese Vorahnung gewesen wäre.
Leona war bei ihrem Tarot auch nicht viel weitergekommen. Die alten Karten hatten
Undefinierbares, Obskures vorausgesagt und noch mehr Warnungen enthalten,
Sybil solle ihre Energien nicht wahllos vergeuden, worauf diese das Gesicht verzogen
hatte. Sie war nun schon seit drei Jahren geschieden, aber diese drei Jahre der
Enthaltsamkeit schienen ihre übersinnlichen Fähigkeiten nicht wesentlich gefördert
zu haben. Sollte nun zufällig ein neuer Ritter in strahlender Rüstung auftauchen,
dann war es vielleicht den Versuch wert, mal wieder einen ganz anderen Kurs
einzuschlagen.
Der einzige, der jetzt aber auftauchen würde, war nur dieser Nicholas Wyndham
Fitzsimmons. Er war bestimmt schon an die siebzig, das Kuratorium traute keinem
unter fünfundsechzig. So
ein verschrobener Akademiker hatte Sybil gerade noch gefehlt. Ihr Exmann war
schon verschroben genug gewesen. Nein, sie sehnte sich nach etwas
Bodenständigem, Herzhaftem, das sie in den langen Winternächten warmhalten
würde. Oder zumindest nach einem, der in ihr nicht solche
Minderwertigkeitskomplexe auslöste, wie das ihre Familie tat.
Alle ihre Instinkte und übersinnlichen Fähigkeiten sagten ihr jedoch, daß dieser
Winter extrem ereignislos verlaufen würde, mit etwa genausoviel sinnlicher
Zerstreuung wie in einem Kloster. Ihr unerschütterlicher guter Humor ließ die sich
anbahnende Deprimiertheit bei diesem Gedanken gar nicht erst an die Oberfläche
kommen. Schließlich hatte so ein friedliches Leben auch seinen nicht geringen
Vorteil, selbst in Sybils fortgeschrittenem Alter von nun schon dreißig Jahren.
Ihr einziges Problem im Moment war, daß sie auf diesen alten Mann warten mußte.
Der Schnee fiel mittlerweile immer dichter, das monatliche Treffen der
parapsychologischen Gruppe stand auch noch bevor, und bis sie dann - endlich -
heimfahren konnte, würde der schmale Weg zu ihrem Haus wohl noch schlechter
passierbar sein. Verdammt, warum konnte der Mann nicht pünkltich sein? Wenn er
bis sechs nicht da war, würde sie ihm einen Zettel hinterlassen, und er sollte selber sehen, wie er zurechtkam. Sie schaltete das Licht im Büro aus und zog sich in
den kleinen Buchladen im hinteren Teil des Hauses zurück.
***
Der dunkelgrüne Jaguar schlitterte und stellte sich auf der dick verschneiten Straße
quer. Geschickt fing Nicholas Wyndham Fitzsimmons das Schleudern ab und brachte
den Wagen wieder in die Spur, in der Hoffnung, die Reifen würden ausnahmsweise
mal wieder greifen. Das war nun schon das vierte Mal in einer halben Stunde, daß er
vorübergehend die Kontrolle über den Wagen verlor, während er sich auf diesen
unwegsamen Seitenstraßen vorwärts mühte. Obwohl seine behandschuhten Hände
relativ entspannt auf dem Lenkrad lagen,
hatte er so schlechte Laune wie noch nie zuvor. Die letzten zehn Meilen hatte er
ununterbrochen geflucht und krampfhaft im Schneegestöber Ausschau nach den
Wegweisern zu seinem Bestimmungsort gehalten. Seine Übellaunigkeit wurde nicht
einmal dadurch gebessert, daß er endlich das weiße Schild entdeckte, auf welchem
zu lesen war, daß er sich nun in Danbury, Vermont befand, gegründet 1793 und Sitz
des "Vereins der Wasserhexen".
Eine absolut unsinnige Jahreszeit für solche Forschungsarbeiten, aber er hatte kaum
eine andere Wahl gehabt. Ende Januar mußte er wieder in England sein, bis dahin
wollte er alles wichtige Material zusammengetragen haben. Wäre er doch nur
endlich wieder in seiner gemütlichen kleinen Wohnung m Cambridge!
Trotz des dichten Schneetreibens hatte er keine Schwierigkeiten, die alte,
weißgestrichene Farm zu finden, in der der Verein seinen Hauptsitz hatte. An der
Vorderfront des Hauses brannte ein Licht, auch im hinteren Teil des Gebäudes
schien noch jemand zu sein. Vor dem Eingang stand ein dick verschneiter
Geländewagen. Wenigstens war die Sekretärin geblieben, um auf ihn zu warten. Wie
hieß sie doch gleich? Sybil Soundso. Er konnte sich schon denken, was da auf ihn
zukommen würde, irgend so eine dürre altjüngferliche Mittfünfzigerin mit
wallenden Kleidern, geistesabwesendem Blick und einem
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