Tiffany Duo 48
zu
schlechten Zustand, als daß Sybil zum Flughafen Burlington hätte fahren und dann
zu ihrer Familie nach Princeton fliegen können. Ein paar Wochen mehr ohne das
zweifelhafte Vergnügen, der Enttäuschung und versteckten Mißbilligung ihrer
Familie ausgesetzt zu sein. Bescherte das Schicksal ihr gar einen Schneesturm zu
Weihnachten, würde sie vollkommen sicher sein, es sei denn, ihre Familie nahm die
Gefahr von Allergien und Astmaanfällen auf sich und kam hierher. Ansonsten hatte
Sybil vielleicht sogar eine Gnadenfrist bis zum Frühling.
Nicht, daß sie ihre Familie nicht gemocht hätte. Ihr Vater war rauhbeinig, freundlich und taktlos. Darüber hinaus war er Direktor einer Bank. Ihre Mutter war klug,
liebevoll und besorgt. Sie war Leiterin einer Verwaltungsbehörde. Sybils ältere
Schwester Hattie war Gynäkologin mit einer florierenden Praxis, in der sich betuchte
und prominente Patientinnen die Winke in die Hand gaben. Ihre mittlere Schwester
Emmy arbeitete als Anwältin in einer der renommiertesten Kanzlei Philadelphias,
und Allison, die jüngste, hatte die Diplomatenlaufbahn eingeschlagen, das
Außenministerium wartete bereits. Sie waren alle wahnsinnig intelligent, fähig,
erstaunlich gut aussehend und freundlich. Und dann war da noch Sybil.
Sie konnte nicht mit ihnen Zusammensein, ohne sich völlig aus der Art geschlagen zu
fühlen. Die entschlossene Nettigkeit der anderen machte alles nur noch schlimmer.
Denn Sybil hatte nichts Großartiges mitbekommen, keine besondere Begabung,
keinen atemberaubenden Intellekt, der starke Männer zum
Weinen hätte bringen können. Sie war einfach eine ganz normale Frau, mit einem
ganz normalen Verstand, der sie mit halbwegs ordentlichen Noten durch das College
gebracht hatte. Sie war recht attraktiv mit ihrem schweren dunkelblonden Haar, den
warmen braunen Augen und den regelmäßigen, ansprechenden Gesichtszügen. Sie
war durchschnittlich groß, schlank, mit vielleicht einem oder zwei Pfund zuviel auf
den Hüften - aber wer hatte letzteres nicht? Niemand in ihrer Familie natürlich, aber die meisten anderen Sterblichen schon.
Jeder anderen Familie hätte Sybil absolut zur Ehre gereicht. Bei den Richardsons
jedoch eroberten die Frauen die Welt, sie backten nicht gern Brot. Bei den
Richardsons sammelten die Frauen akademische Titel wie andere Porzellanfiguren,
sie hatten keine Gärten und züchteten keine Rosen. Bei den Richardsons strebte
man immer weiter vorwärts, bis man umfiel und sich die Ehrentitel über einem
häuften. Man schloß dort keine katastrophale Ehe mit einem fantasielosen
Bankangestellten, man trennte sich auch nicht einfach von ihm und flüchtete nach
Vermont, ausgerechnet Vermont! Und ganz sicher ließ man sich dort nicht mit so
fadenscheinigen Vereinen ein wie den "Wasserhexen".
Zum Glück jedoch hatten alle Richardsons Geld. Die Großmutter mütterlicherseits
war die erste weibliche Selfmademillionärin des New Yorker Börsenmarkts gewesen,
sie hatte ihr ganzes Vermögen ihren Enkelinnen vermacht. Als Sybil das starre
Eheleben in Scarsdale nicht mehr ertragen konnte, hatte sie ihre Koffer gepackt,
Colin eine entschuldigende Nachricht hinterlassen und war zum Haus der Familie in
Vermont geflohen. Ihre erste Amtshandlung dort hatte darin bestanden, sich zwei
Springerspaniels anzuschaffen, aus denen rasch sechs geworden waren.
Die Hunde hatten die Richardsons ferngehalten. Denn noch etwas hatten sie
gemeinsam - alle, außer Sybil, litten an schwersten Allergien. Sobald sie mit einem
Hund im selben
Zimmer waren, fingen sie an zu schnupfen und zu husten und mußten zu
Inhaliersprays greifen. Eine äußerst glückliche Fügung also für Sybil. Außerdem
brauchte sie kein schlechtes Gewissen zu haben, das Haus in Vermont war ohnehin
seit Jahren nicht benutzt worden, höchstens ab und zu mal an irgendwelchen
Feiertagen, und selbst dann kam kaum die Hälfte der Familie zusammen. So gehörte
es also Sybil, und sie fühlte sich ausgesprochen wohl darin, mit ihren sechs Hunden,
ihrer Einsamkeit und dem selbstgebackenen, frischen Brot, das mit verantwortlich
war für die ein, zwei überflüssigen Pfunde auf ihren Hüften. Gartenarbeit und
selbstangebautes Gemüse wirkten dem jedoch gut entgegen.
Hätte es nun nicht an beziehungswilligen Männern in Danbury, Vermont, gefehlt,
dann hatte ihr Leben schlechthin perfekt sein können. Eigentlich wußte sie gar nicht
einmal, ob sie überhaupt einen Mann wollte,
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