Tiffany Duo 48
der Jugend gelesen hatte. All das hatte nichts
mit dem wirklichen Leben und nüchternen Tatsachen zu tun.
Und doch ...
Sybils Französisch war perfekt gewesen. Und ihr verständnisloser Gesichtsausdruck,
als er später noch einmal mit ihr Französisch gesprochen hatte, war nicht
geschauspielert gewesen"". Natürlich, auch dafür gab es Erklärungen. Im
Unterbewußtsein waren die Menschen oft zu viel mehr imstande als im bewußten
Zustand. Wahrscheinlich hatte Sybil mehr aus französischen Spielfilmen und aus
dem Französischunterricht in Erinnerung behalten, als sie ahnte.
Und doch ...
Sie hatte anders ausgesehen, als sie sich in Hypnose befunden hatte. Dieses
sinnliche Lächeln, das aufreizende Lachen hatte nichts mit dem Gehabe zu tun, das
sie zuvor ihrer Umwelt präsentiert hatte. Aber vielleicht hatte sie an diesem Tag nur schlechte Laune gehabt, vielleicht war sie an anderen Tagen häufiger so
unbeschwert und bezaubernd wie während der Trance. Vielleicht hatte ihre
Wandlung nur ihn allein so überrascht.
Und doch ...
Sie hatte von der Comtesse Felicite gewußt und dem Beginn der Französischen
Revolution. Sie hatte einen Geliebten gehabt, der auf Nicholas' Zweitnamen
Alexandre hörte, einen Geliebten, der offenbar ein grausames Ende gefunden hatte.
Aber schließlich war Felicite in Frankreich kein ungewöhnlicher Name, und natürlich
hatte auch jede Phantasiegräfin einen Geliebten. Wahrscheinlich war sie durch
Dumas auf den Namen Alexandre gekommen. Außerdem konnten weder Leona
noch Sybil etwas von seinen eigenen Erlebnissen gewußt haben. Zufälle gab es
immer, und ein solcher Zufall mußte auch hier am Werk gewesen sein.
Und doch...
All das erklärte immer noch nicht seine eigene Reaktion. Das unheimliche,
unterbewußte Gefühl des Wiedererkennens und Sicherinnerns, als sie gelacht hatte.
Den ganzen Abend hatte er gegen die ungewohnte Anziehungskraft angekämpft, die
sie auf ihn hatte, sowohl körperlich als auch geistig. Als sie in seinen Armen geweint hatte, hatte er zu kämpfen aufgehört. Aus irgendeinem Grund begehrte er sie mehr
als je eine andere Frau zuvor. Die nach Moschus duftende Buchhändlerin hatte ihn
kaltgelassen, die bildschöne Dulcy ebenfalls. Er konnte es sich nicht erklären, aber er wollte Sybil, und diese Sehnsucht ließ sich nicht mehr aus seinem Herzen
verdrängen.
Er würde Leona irn Auge behalten müssen. Er traute ihr nicht über den Weg und es
gefiel ihm nicht, welche Wirkung sie auf
Sybil ausübte. Allerdings gefiel ihm auch nicht, welche Wirkung Sybil auf ihn hatte.
Verdammt, im Moment gefiel ihm eigentlich gar nichts so richtig.
Morgen würde er klarer sehen. Bei Tageslicht würde er Sybil mit nüchterneren
Augen sehen können. Er würde sich in der Black Farm häuslich einrichten und den
"Nach Erleuchtung Suchenden" fortan aus dem Weg gehen. Aberglaube und
Hokuspokus hatten schon immer etwas Ansteckendes gehabt, wie hatte er das nur
vergessen können? Für seine Nachforschungen brauchte er einen klaren Kopf.
Genau wie für seine weiteren Pläne.
Wenn diese Pläne Sybil Richardson mitbetreffen sollten, dann wollte er unbelastet
und frei darüber nachdenken. Obwohl er bereits deutlich ahnte, daß sie ihm nur
Schwierigkeiten machen würde.
Wieder hieb er auf das Kissen und stellte sich vor, es sei Leonas rundes Gesicht. Er
war nie vor Schwierigkeiten davongelaufen, er würde jetzt nicht damit anfangen.
Vielleicht entpuppte sich Sybil ja auch als überaus reizvolle Schwierigkeit... Er drehte sich um und schlief endlich ein. Schon bald hatte er die erotischstem Träume von
einer Comtess Felicite, die erstaunlicherweise genauso aussah wie Sybil
Richardson ...
***
Sybil Richardson hatte Kopfweh, nervöse Magenbeschwerden, einen rauhen Hals
und war genauso genervt wie damals, als sie das letzte Mal ihrer versammelten
Familie gegenübergetreten war. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch im Büro der
"Wasserhexen", überglücklich, daß sie allein war, und versuchte, ihr Unwohlsein irgendwie in den Griff zu bekommen.
Natürlich hatte sie Kopfschmerzen. Als sie am Morgen ihr Haar geflochten hatte,
war sie in großer Eile gewesen. Wahrscheinlich hatte sie die Zöpfe viel zu stramm
geflochten.
Ihr Magen reagierte deshalb so nervös, weil sie bisher nichts anderes zu sich
genommen hatte als schwarzen Kaffee.
Der rauhe Hals war nicht verwunderlich bei diesem ungemütlichen, stürmischen
Wetter, und ihre Gereiztheit kam sicher
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