Tiffany Duo 48
daher, daß sie die letzte Nacht nicht sehr
gut geschlafen hatte. Dies wiederum mußte an dem höchst beunruhigenden, teils
erotischen, teils angsteinflößenden Alptraum gelegen haben, in dem sich alles um
die Französische Revolution drehte.
Seufzend gestand sie sich ein, daß sie sich etwas vormachte. Sie nahm noch einen
Schluck von dem langsam kalt werdenden Kaffee und lockerte ihre Zöpfe etwas. Es
gab einen Grund für ihr körperliches und seelisches Unbehagen, und zwar einen
einzigen, ganz konkreten. Dieser Grund war der Mann, der soeben an der
verschneiten Hauszufahrt abgesetzt worden war und nun seinen kostbaren Wagen
besorgt betrachtete.
Sie erwog, ihren Mantel überzuziehen und nach draußen zu eilen, ehe er sich in ihr
Territorium vorwagte. Je eher sie dafür sorgte, daß er auf die Black Farm kam, desto
eher war sie ihn los. Oder? Dan hatte bereits verkündet, daß Nicholas frei über sein
Büro und die angrenzende Bibliothek im zweiten Stock des alten Gebäudes verfügen
dürfe. Wenn Sybil Pech hatte, kam Nicholas nun jeden Tag und ging ihr sogar noch
mehr auf die Nerven als Leona.
Nun, sie würde das schon aushalten. Sie konnte mit den verschrobenen alten
Männern des Kuratoriums fertigwerden, sie konnte ihre Familie in kleinerer und
größerer Anzahl ertragen, also konnte sie auch mit einem ziemlich großen, durchaus
kultiviert aussehenden Mann mit antiquierten Ansichten und schlechter Laune
umgehen. Aber sicher konnte sie das.
Sie hörte das Gebimmel der Glöckchen an der Eingangstür und das schwere
Trampeln von Stiefeln im Korridor, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen.
Es war besser, wenn er zu ihr kam, viel besser, als wenn sie ihm entgegenlief. Sie
konnte hier am Schreibtisch sitzen, ganz kühl, distanziert, mit
einem überlegenen kleinen Lächeln, während er vor ihr stand und sich aufregte ...
Die Schritte entfernten sich in Richtung Buchladen, und Sybil fluchte leise. "Ich bin hier!" rief sie verstimmt.
"Ich weiß", ertönte eine Stimme, und wenn hier jemand erheitert und überlegen klang, dann er. "Ich sehe mir nur mal an, was Sie für Bücher haben."
"Hölle und Verdammnis", schimpfte Sybil halblaut vor sich hin. Sie stand auf und machte sich auf den Weg zu ihm. Das letzte, was sie wollte, war, daß er in ihrem
Laden herumschnüffelte, an der geringen Auswahl herummäkelte und sich über ihre
Interessen lustig machte. Warten Sie", rief sie. "Ich komme sofort!"
Sie rannte aus dem Büro, ohne sich Schuhe anzuziehen, und trat prompt mit den
Wollsocken in den Schnee, den Nicholas ins Haus getragen hatte. Sie schimpfte
erneut, rutschte in der nächsten Schneepfütze aus und prallte mit einer großen,
unbeweglichen Gestalt zusammen.
Hände streckten sich nach ihr aus, um sie zu stützen, starke, überraschend sanfte
Hände. Sybils Augen befanden sich in Höhe seiner Schultern, und sie wartete auf das
übliche Gefühl der Gereiztheit und des Eingeschüchtertseins. Es wollte sich nicht
einstellen. Ruckartig und mit gut verhohlener Panik machte sie sich von seinem Griff
frei.
"Sie haben Schnee hereingetragen", stellte sie angriffslustig fest und heftete den Blick starr auf den obersten Knopf seines offenstehenden Pulloverkragens.
"Und Sie haben keine Schuhe an." Seine Stimme klang leise, warm und betörend, von der schlechten Laune des vergangenen Abends war nichts mehr zu spüren. Sybil
hob erstaunt den Kopf und sah geradewegs in seine topasfarbenen Augen. Einen
Moment lang fühlte sie sich, als sei sie wieder in Hypnose versetzt. Aber am
gestrigen Abend hatten in diesem Zustand Gefahren auf sie gelauert, und genauso
spürte sie jetzt, daß von
diesen wundervollen Augen Gefahr ausging. Sie erinnerte sich daran, daß sie mit
diesem Mann nur Ärger haben würde, und sah zu Boden.
"Ich trage nie Schuhe im Büro", erklärte sie. "Was wollten Sie im Buchladen nachsehen?"
"Ich wollte gern wissen, wieviel Prozent der Bücher sich ausschließlich mit
Rutengängerei befassen und wie viele mit diesem ganzen New Age- und
Esoterikkram."
Hatte es je einen Anflug von Übereinstimmung zwischen ihnen gegeben, so schmolz
er nun genauso rasch dahin wie der Schnee auf dem Teppichboden. "So viel, wie ich bestimme", fuhr sie ihn an. "Warum?"
"Forschung, Sybil. Ich interessiere mich dafür, wie viele andere Einflüsse den Bereich des reinen und seriösen Rutengehens unterwandert haben."
Ihre Reaktion kam wie aus der Pistole geschossen. "Halten Sie die Luft
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