Tiffany Duo Band 0142
der riesige Hund nur einen Blick auf Sarah in ihrem weißen Kittel, bevor er kurz aufjaulte und sich prompt auf dem Fußboden erleichterte. “Oh nein, Dicker”, rief Sarah verständnisvoll, während sie nach ein paar Papierhandtüchern griff und sie auf die Pfütze warf. “So schlimm wird’s schon nicht werden, hm?” Und irgendwie machte sie sich damit auch selber Mut.
Dean wünschte sich, er wäre unsichtbar. Wenigstens für ein oder zwei Stunden, bis er begriffen hatte, dass er wirklich wieder in Sweetbranch war. Alles schien ihm völlig fremd und doch auch so vertraut. Er beschloss, noch eine Weile in seinem Pick-up zu bleiben und durch die Straßen zu fahren, um sich erst einmal daran zu gewöhnen, wieder hier zu sein. Oh Gott. Eine ganze Woche lang Sweetbranch. Eigentlich hatte er erwartet, dass er sich unwohl fühlen würde. Aber es fühlte sich gut an, wieder zu Hause zu sein – und das verwirrte ihn.
Neun Jahre war es her. Neun Jahre, in denen er etwas aus sich gemacht hatte, trotz seiner Schreib- und Leseschwäche, die ihm das Leben auf der Highschool so vergällt hatte. Neun Jahre war er Sweetbranch und Sarah Whitehouse ferngeblieben, damit sie ihren Weg gehen konnte. Neun Jahre, in denen er sich immer wieder dieselbe Frage gestellt hatte:
Habe ich damals den größten Fehler meines Lebens gemacht?
Lange Zeit hatte Dean seiner Tante Ethel die Schuld für seine Trennung von Sarah gegeben. Ethel war die Schwester seines Vaters. Nach dem Tod von Deans Mutter hatte sie ihn und seinen Bruder Lance bei sich aufgenommen. Tante Ethel hatte ihm unaufhörlich vorgehalten, wie verschieden er und Sarah waren.
Sie ist nun mal die Tochter eines Arztes, nicht eines kleinen Schreiners. Und wie klug sie ist, schau dir nur ihre Schulnoten an, lauter Einser. Was kann ein einfacher Junge vom Land wie du ihr schon bieten? Sieh es doch ein, irgendwann wirst du dich neben ihr nur wie ein halber Mann fühlen. Ist es das, was du willst?
Dean war damals zwanzig gewesen, und er hatte Sarah geliebt. Aber Tante Ethels beharrlicher Argwohn hatte schließlich Zweifel in ihm genährt, ob die Beziehung mit Sarah wirklich eine Zukunft hätte. Vielleicht hatte seine Tante ja recht, vielleicht würde er Sarah tatsächlich nur im Weg stehen und sie würde ihn eines Tages dafür hassen.
Schließlich hatte er entschieden, dass es besser war, die Beziehung radikal zu beenden, anstatt zu warten, bis ihre Liebe einen langsamen quälenden Tod sterben würde. Aber an dem Tag, als er mit Sarah Schluss gemacht hatte, zersprang sein Herz in tausend Stücke. Und heute wusste er, dass er diese wunderbare Frau nur durch seine eigene Schuld verloren hatte.
Er lenkte seinen Wagen durch die Straße, in der das Haus seiner Tante stand. Ein seltsames Gefühl von Heimweh überkam ihn. Einige der Häuser waren neu verputzt, und Frank Cuthbertsons alte Limousine, in der immer ein paar Hühner brüteten, stand nicht mehr vor dem Haus. Sonst hatte sich kaum etwas verändert. Dean musste leise lachen, als er sich erinnerte, wie er und Sarah als Kinder immer die Eier stibitzt hatten – sehr zum Missfallen von Frank. Ansonsten schien es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Hunde spazierten gelassen über die Straße, die durch die tonhaltige Erde Alabamas immer mit einer Schicht orangefarbenem Staub überzogen war. Zwischen den Häusern wuchsen Pfirsich- und Apfelbäume, und in der Luft lag der schwere Duft von Mimosen und Geißblatt.
Auch Sarahs Haus sah noch genauso aus wie damals. Dean hielt seinen Wagen an und lehnte sich aus dem Fenster. Dieses seltsame Gebäude, das gleichzeitig elegant und verspielt wirkte, war sein zweites Zuhause gewesen. Der weiße Putz mit seinen gelben und grünen Verzierungen schien jedoch langsam zu bröckeln. Ein plötzlicher Stich in der Magengegend erinnerte Dean daran, dass Sarahs Vater, Dr. Whitehouse, vor drei Jahren an Herzversagen gestorben war. Lance hatte ihm ebenso davon erzählt wie von dem Nesthäkchen, dass noch in Sarahs Familie geboren worden war. Das kleine Mädchen dürfte jetzt gerade mal acht Jahre alt sein und hatte bereits keinen Vater mehr.
Er entschloss sich weiterzufahren, bevor die vielen Erinnerungen ihn übermannten. Im Rückspiegel betrachtete er noch einmal Sarahs Haus. Er wusste, dass sie gerade nicht da war. Lance hatte ihm gesagt, dass sie in der Tierarztpraxis von Doc Jefferson in Opelika arbeitete. Doch heute Abend würde er ihr begegnen – das erste Mal, seit er sich nach seinem
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